wenn der irre mit der bombe gut durch die nacht kommt von WIGLAF DROSTE :
Ich bin ein altmodischer Zeitungsleser: Bevor ich den Fisch in die Zeitung einwickle, lese ich – nicht den Fisch, sondern die Zeitung. Das ist ein Fehler, das rächt sich.
Dass ein englischer Königssohn seine langjährige Geliebte heiraten wird, interessiert mich nicht so brennend – ich kenne weder den Mann noch die Frau, ihr Privatleben geht mich nichts an. Das so genannte Intelligenzfeuilleton aber gerät darüber ganz aus dem Häuschen: In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird „pro und contra“ debattiert, ob eine Heirat denn auch der richtige Schritt sei. Selbst wenn man seinen Kopf nur dazu brauchte, um sich einen Kopf kürzer machen zu können, müsste man dazu einen Kopf doch wenigstens haben.
Die Vorgänge im englischen Königshaus sind traditionell im Goldenen Blatt sehr gut aufgehoben – aber das Goldene Blatt ist überall, dem Schmierkäse aus Klatsch und Prominenz wird alles untergeordnet. Oder ist es nur Ausdruck eines großen Haufens von Weltoptimismus, eine Meldung über britische Royals größer aufzumachen als einen zeitgleich erscheinenden Bericht über Atomwaffen in Nordkorea? Ist der Leser als solcher ein suizidgefährdetes psychisches Wrack, dem Informationen nicht mehr zugemutet werden können? Den man mit Windelweichbrei und Eititei füttern muss, damit er nicht zusammenbricht? Muss man den Zeitungsleser traktieren wie den Fernsehzuschauer, der in den Nachrichten angeschmust und mit Alleswirdgut bekochlöffelt wird? Dem ein Nachrichtensprecher schmierig sagen darf: „Kommen Sie gut durch die Nacht“? Was geht den Kerl meine Nacht an? Er kennt mich nicht – was spricht er mich an, als legte er mir eine nasse Hand auf den Schenkel?
Das Gegenstück zur Debilenbetreuung ist die Scharfmacherei. Für die Wochenportion Hetze sorgt mit Eifer der Spiegel: Sozialschmarotzer und kriminelle Ausländer, das ist die Welt im Spiegel, da lacht sich Stefan Äustchen ins Fäustchen. „Der Irre mit der Bombe“ steht diese Woche auf dem Titel – in Analogie zur alten Bild-Schlagzeile über Saddam Hussein: „Was plant der Irre jetzt?“
Der Ausländer, das erfährt man nun äußerst drängend, bedroht den Deutschen arg: Entweder ist er Menschenhändler, Zuhälter und wirft mit Rauschgift und Zwangsprostituierten nur so um sich, oder aber er ist geisteskrank und atomar bewaffnet – alles andere ist raffinierte Tarnung. Dass der Spiegel die wöchentliche Ausgabe der Bild sei, war Teil der Allgemeinbildung und ist mittlerweile veraltet; inzwischen liest sich das frühere Nachrichtenmagazin, als würde es nach Feierabend in der Redaktion der National-Zeitung hergestellt.
Eine schöne Sache ist das menschliche Gehirn; von ihm Gebrauch zu machen, ist manchmal anstrengend, aber für die Freuden der Erkenntnis unverzichtbar. Nur wer bei klarem Verstand ist, kann dem Hasspredigerunsinn über die armen, vom Ausland und den Ausländern drangsalierten Deutschen souverän entgegentreten. Dazu bräuchte es Medien, die etwas anderes zu bieten hätten als eine Mischung aus Schlafpulver und Aufputschmittel. So aber kann ich besser den Fisch lesen und die Zeitung darin einwickeln.