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Archiv-Artikel

Aufstand im Aschenbecher

Für „italienische Verhältnisse“ demonstrierten engagierte Nichtraucher nun auch vor der taz-Kantine – gegen die Freiheit der Fahrlässigen und für ein öffentliches Rauchverbot in Restaurants und Kneipen

VON JAN FEDDERSEN

Kürzlich vor den lichteinladenden Schaufenstern des „Sale e Tabacchi“, jenes Kaffeehauses im Erdgeschoss des taz-Gebäudes. Ein Edelitaliener mit durchaus umstrittener kulinarischer Leistungsbereitschaft, hinter dessen Tresen eine Fülle feiner Tabakwaren ausliegt, frei zum Verkauf. Eine Gaststätte, in der, selbstverständlich wie in fast allen anderen hierzulande auch, gequalmt wird. Das aber soll nicht so bleiben, überhaupt soll in Kneipen und Kaffeehäusern bald nicht mehr Nikotinhaltiges konsumiert werden – es soll so werden wie in den USA, wo, in Kalifornien beispielsweise, Zigaretten für moralisch verwerflicher gehalten werden als Schusswaffen.

Protest vorm Bügeltisch

Eine Bewegung wird dieser Tage geboren, und zu diesem Beweis forderte ein kleines Stand-In, eine Art Demonstration vor dem auch als taz-Kantine genutzten Haus, „Rauchfreie italienische Verhältnisse“. Als Trägerschaft des Protests gibt sich ein „Forum Rauchfrei in Berlin“ zu erkennen – das vor das Fenster einen Bügeltisch gestellt hat, auf dem Flugblätter und eher feuchte Muffins ausliegen. Man muss sich die Menschen, die ihr Anliegen zunächst eher scheu vortragen, als Ansammlung eher mau gelaunter, dröger, verhärmter Menschen vorstellen: Protest braucht offenbar eine Aura des gutwilligen Verdrusses.

Und sie alle, die vor diesem Restaurant tapfer um Aufmerksamkeit werben, haben ja Recht: dass das Rauchen von Zigaretten schädlich ist, darf als bewiesen gelten. Wer den Qualm einer Zigarette inhaliert, stirbt mit vielfach höherer Wahrscheinlichkeit früher und quälender als einer, der diesem Laster nicht verfallen ist. Unstrittig ist ebenso, dass Raucherinnen und Raucher häufig unter Lähmungserscheinungen ihrer Füße leiden, öfter und früher als andere einen Herzinfarkt bekommen – und ihre Küsse, nebenbei, munden nur Mitqualmern.

Die Gefahren sind bekannt, und weshalb sollten Gesundheitspolitiker auch nicht dafür sorgen, dass nicht-, also passiv rauchende Menschen geschützt werden? Nicht Toleranz gefährlichen Dingen im öffentlichen Raum gegenüber zu zeigen ist ihr Job – sondern Gefahrenabwehr.

No Nicotine Areas

In vielen Schulen sind die Raucherecken, in den Siebzigern als Zeichen der Emanzipation eingeführt, wieder abgeschafft worden oder werden es bald; in Flugzeugen ist das Rauchen meist verboten, in Zügen und auf Bahnhöfen gibt es ausgewiesene Areale für jene, die es ohne Zigarettengenuss nie aushalten. Auch dass am Arbeitsplatz bald nicht mehr gequalmt werden darf, ist sehr gut verständlich, auch für – quasi suizidal lebende – Kettenraucher.

Doch das sind alles Zwangsorte: In Flugzeugen und am Arbeitsplatz nutzen alle die gleiche Luft – niemand kann ihr entrinnen, Nichtraucher haben keine Chance. Doch in Kneipen? Ist es nicht verfehlter Protestrausch, auch dort das Qualmen zu verbieten? Lugt beim Engagement für das Recht auf nikotinfreie Luft in Gasthäusern nicht ein mächtiger Gesundheitswahn durch – notdürftig getarnt als Sorge um das körperliche Wohlergehen und schlimmer als die übelste Malaise?

Transzendenzverdächtig

Kulturhistorisch betrachtet sind Kneipen (und zu ihrer Gattung der Geselligkeitsorte zählen auch Restaurants) Orte der Transzendenz – komme sie durch Völlerei, Suff oder den steten Nikotinkick zustande. Niemand muss in eine Kneipe gehen, sich den Ekstasen anderer aussetzen; man kann, ein Friedensvorschlag, Restaurants eröffnen, in denen Zigarettengenuss strikt verpönt ist.

Stünde das Qualmen, Saugen, Inhalieren, das Lungenzügerische überhaupt in Kneipen unter Verdikt, wäre das im Übrigen eine schwere Schädigung der Raucher, und zwar eine ihrer Seelen. Nicht umsonst wies schon Mitte der Siebzigerjahre der französische Psychoanalytiker Didier Anzieu in seiner Arbeit über das „Haut-Ich“ (Suhrkamp, 1975) auf die kostbare Funktion des nikotingesättigten Einatmens hin – das Atmungszentrum als Teil eines Ichs, das für äußere Einwirkungen sich unempfänglich zeigen muss, weil es, dieses unter der Haut verankerte Ich, sich Zug für Zug gemeinsam stabilisieren muss.

Wer auf Italien verweist, Ministerpräsident Berlusconi einen guten Mann sein lässt, weil er aus den Kneipen seines Landes das Rauchen verbannt hat, will womöglich nur seine oder ihre fanatische Vorstellung vom guten Leben anderen Menschen aufbürden.

Und hiergegen müssen sich alle verwahren, die sich schon, aus nur zu zivilisatorischen Gründen („Mute anderen nichts zu, dem sie nicht entrinnen können“), längst den Genuss von Glimmstängeln mit oder ohne Hilfe, abgewöhnt haben.