BETREUUNGSRECHT: PAUSCHALEN HELFEN NUR OBERFLÄCHLICH
: Neuer Fehler gegen alten Fehler

Jeder kennt sie: Die verwirrte alte Dame von gegenüber, der hoffentlich jemand beim Behördengang hilft. Den verwahrlosten Junkie von nebenan, dessen Miete das Sozialamt überweist – aber wer regelt eigentlich Strom und Telefon? Den geistig behinderten jungen Mann, den seine Tante wegen seiner Diabetes regelmäßig zum Arzt schleppt. Für 300.000 Menschen in der Republik organisieren nicht Verwandte, sondern bezahlte Betreuer die rechtlichen und medizinischen Geschäfte. Mit dem Betreuungsrecht wurde 1992 das alte Entmündigungsrecht abgeschafft. Anstelle der anonymen amtlichen Bevormundung trat Hilfe zur Selbstständigkeit. Die Anwältin oder der Sozialarbeiter sollten sich wirklich Mühe geben, den Willen des Schützlings zu eruieren. Schön.

Aber teuer. Deshalb wird der Bundestag morgen der Novelle des Betreuungsrechts zustimmen, die von den Bundesländen erarbeitet wurde. Denn deren Betreuungskosten sind seit 1992 explodiert. Nun heißt es, dass mit dem neuen Recht bloß die Bezahlung verwaltungsärmer und deshalb effizienter abgewickelt werde: Pauschalsätze ersetzen die minütliche Abrechnung. In krassen Missbrauchsfällen hätten Betreuer über 24 Stunden Betreuung am Tag abgerechnet, nun gebe es eben einen festen Satz pro Fall.

Doch wie so oft ist Pauschalierung – gleiches Geld für jeden – nur an der Oberfläche gerecht. Eigentlich jedoch wird nur ein alter Fehlanreiz durch einen neuen Fehlanreiz ersetzt. War die Versuchung bisher groß, widerrechtlich viel abzurechnen, wird sie in Zukunft lauten, die Problemfälle fix abzuwickeln. Unzulänglich betreute Menschen allerdings verursachen woanders Kosten – zum Beispiel bei den Krankenkassen. Und mit Sicherheit fällt unter den Tisch, was die bisherige Betreuung zwar nicht missbrauchssicher, jedenfalls aber besser gemacht hat: die halbe Stunde zusammen bummeln, die Tasse Tee extra. Vielleicht jedoch war das genau der moralische Kern des Betreuungsrechts: die Befassung mit dem ganzen Menschen. Zweifelhaft, dass sie die Novelle überlebt. ULRIKE WINKELMANN