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Archiv-Artikel

Des SED-Unrechts soll stärker gedacht werden

Der Kulturausschuss des Bundestages hörte Experten zum Gedenkstättenkonzept – und landete bald bei den Neonazis

BERLIN taz ■ Wie Geschichtspolitik konkret wird, das war am Mittwochabend im Kulturausschuss des Bundestages zu besichtigen: Mit Bezug auf einen Antrag der Unionsfraktion wurden auf einer Anhörung Experten (nur Männer) zum „Gedenkstättenkonzept des Bundes“ aus dem Jahr 1999 befragt.

Der Name des Antrags, „Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland“, zeigte an, wohin die Reise geht: Es geht der CDU/CSU um ein Konzept, das sowohl die braune Diktatur und ihre Massenmorde bis 1945 wie die rote und ihre Verbrechen behandelt. Da liegt die Gefahr der Vermischung dieser, wie häufig gesagt wurde, „doppelten Vergangenheiten“ zu einem Gedenkbrei nahe. Schlimmer noch: Hier ist man mitten drin in der Totalitarismus-Diskussion, inwieweit Nazi-Herrschaft und SED-Regime vergleichbar sind. Ganz schnell ist man auch im latent revisionistischen „Deutsche-als-Opfer“-Diskurs, ein Minenfeld.

Nun ist der „antitotalitäre Konsens“, der 1999 bei Erarbeitung des Gedenkstättenkonzepts noch bestanden habe, am Bröckeln oder schon zerbrochen, wie der SPD-Abgeordnete Eckhardt Barthel mutmaßte. Dass dies schnell gehen kann, zeigte sich etwa bei der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten, die vor etwa einem Jahr der Zentralrat der Juden und Opfer der NS-Militärjustiz unter Protest verließen. Es drohe eine Gleichsetzung des NS-Unrechts mit den Untaten in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, begründeten die Verbände ihren Austritt.

Einer der gehörten Experten, der ehemalige oberste Stasi-Akten-Verwalter Joachim Gauck, nun Vorsitzender von „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“, mahnte, dieser „antitotalitäre Konsens“ sei „wiederherstellbar“ – aber dass dies alles andere als leicht sein würde, wurde deutlich etwa an einer Äußerung von Thomas Lutz, Geschäftsführer der Berliner „Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten – Topographie des Terrors“: Ihn wundere es nicht, meinte Lutz, dass die NPD gerade in Sachsen derzeit so viel Aufwind habe, wenn man bedenke, dass das dortige Stiftungsgesetz den Nationalsozialismus noch nicht einmal beim Namen nenne. Ein „antitotalitärer Konsens“ helfe da offenbar gar nicht weiter.

Weitgehende Einigkeit unter den Experten bestand immerhin darin, dass es bei der Förderung des Gedenkens an das SED-Regime einen „Nachholbedarf“ gebe. Doch wie soll der Bund diesen Nachholbedarf, etwa bei der staatlichen Hilfe für die Gedenkstätte im früheren Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen, befriedigen, ohne dass dies zu Lasten des NS-Gedenkens geht? Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke betonte mehrmals, man müsse beide Diktaturen „zusammendenken“. NS-Gedenkstätten erhielten etwa zehnmal mehr Geld als Orte der Erinnerung an die SED-Diktatur. Geschichtspolitik wird auch mit Geld gemacht – und es sieht danach aus, dass den NS-Gedenkstätten der Wind bald kräftig ins Gesicht wehen könnte. PHILIPP GESSLER