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Archiv-Artikel

Entmündigte jetzt minder bemittelt

Wer geistig verwirrte Menschen rechtlich betreut, wird künftig nur noch nach Pauschalsätzen bezahlt. Vorsorgevollmachten sollen die kostengünstige Betreuung durch nahe Angehörige erleichtern. Länder wollten ursprünglich weit stärker kürzen

VON CHRISTIAN RATH

Altersverwirrte, psychisch Kranke oder geistig Behinderte sollten künftig kostengünstiger betreut werden. Darauf zielt das neue Betreuungsrecht, das der Bundestag heute beschließen wird. Die Einschnitte werden allerdings nicht so gravierend sein wie von den Ländern zunächst gefordert.

Die Zahl der Betreuten nimmt stetig zu und liegt derzeit bei rund einer Million. Zwar werden rund 70 Prozent der Betroffenen ehrenamtlich betreut – meist von Angehörigen, die nur eine Aufwandsentschädigung von rund 370 Euro pro Jahr erhalten. Doch in den übrigen Fällen werden Berufsbetreuer tätig, die für ihre anspruchsvolle Tätigkeit einen angemessenen Lohn fordern. Die Länder geben pro Jahr rund 700 Millionen Euro für die rechtliche Betreuung von Menschen aus, die nicht selbst über Vermögen, Aufenthaltsort oder ärztliche Maßnahmen entscheiden können.

Die Länder wollten die Leistungen nach dem Betreuungsgesetz, das 1992 die als diskriminierend empfundene Entmündigung abgelöst hatte, wieder stark zurückschneiden. Bei der Entlohnung der Berufsbetreuer wurde nun ein Kompromiss geschlossen, der von allen Parteien und von den Ländern getragen wird. Die Betreuer erhalten demnach pro Stunde 13 Prozent mehr Honorar, pro „Fall“ wird aber nur noch eine pauschal festgelegte Stundenzahl bezahlt. Unter dem Strich sollen die Betreuer das gleiche Einkommen erzielen wie bisher. Da aber die aufwändige Abrechnung entfällt, haben die Betreuer mehr Zeit für ihre Schützlinge und die Länder können Personal in den Behörden einsparen.

Zweites Ziel der Länder war die Reduzierung der Betreuungen insgesamt. So sollten Ehegatten unter bestimmten Bedingungen automatisch zum gesetzlichen Vertreter ihres kranken Partners werden. Dies hat der Bundestag abgelehnt. „Ehegatten sollen nicht ihr Recht verlieren, über ihr Vermögen unabhängig voneinander zu entscheiden“, erklärte Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion.

Stattdessen wollen Bund und Länder nun gemeinsam für die Einrichtung von Vorsorgevollmachten werben. Hier kann jeder im gesunden Zustand festlegen, wer für ihn bei Verlust der Geschäftsfähigkeit Entscheidungen treffen soll. Vorteil für den Staat: Ein Bevollmächtigter bekommt kein Geld vom Staat. Vorteil für nahe Angehörige: Als Bevollmächtigte müssen sie nicht ständig mit dem Vormundschaftsgericht über jede Einzelheit verhandeln.

Außerdem wurde ein Paragraf gestrichen, der es ermöglichen sollte, Betreute zur ambulanten ärztlichen Behandlung zwangsweise in ein Krankenhaus zu bringen. Gegen diesen Passus gab es verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Reform soll am 1. Juli in Kraft treten. Weil die Länder intensiv in die Gesetzesberatungen einbezogen waren, gilt die Zustimmung des Bundesrats als sicher.

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