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Archiv-Artikel

„Sperren bleiben“

Wie Frauen in Taiwan mit den Geschlechtern spielen: Regisseurin Monika Treut über ihren Dokumentarfilm „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Frau Treut, wie wurde Ihr Interesse an Taiwan geweckt?

Monika Treut: Ich war 2002 bei einem Frauenfilmfest, bei „Women Make Waves“, eingeladen – anlässlich einer Retrospektive meiner Filme. Ich wusste bis dahin gar nichts über Taiwan und las mir im Flugzeug mein erstes Wissen im Reiseführer an. Schon bei der Ankunft wurde ich damit konfrontiert, ich sei in der Volksrepublik China gelandet – von Anfang an gab es irritierende Erlebnisse, die mich immer neugieriger machten. Auf dem Festival lernte ich dann sehr spannende Leute kennen, zum Beispiel auch eine der Protagonistinnen meines Films, die Schriftstellerin Li Ang. Sie vertritt die mittlere Generation in „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“.

Wie haben Sie die anderen beiden Protagonistinnen gefunden?

Ich wollte drei Frauen aus drei Generationen porträtieren, um zu zeigen, wie schnell sich die Dinge in Taiwan zur Zeit verändern – wie jung die Frauenbewegung dort noch ist. DJ, also Chen Yin-jung, die junge Filmregisseurin, habe ich sehr schnell gefunden. Eine Freundin hat mich auf eine Pressevorführung ihres Films „Formula 17“ mitgeschleppt. Dieser Film hat sich übrigens in Taiwan zum Kassenschlager entwickelt und läuft gerade in Deutschland an. Eine Frau aus der älteren Generation zu finden gestaltete sich dagegen etwas schwieriger. Ich habe mehrere ältere Damen im Vorfeld interviewt und hatte großes Glück, als ich schließlich die Opernsängerin Hsieh Yueh Hsi fand. Sie ist eine sehr charismatische Frau, eine Frau mit viel Geschichte.

Einerseits wirkt Hsieh Yueh Hsi sehr unabhängig und – wohl auch durch ihre dunkle Stimme und ihre jahrelange Festlegung auf eine männliche Rolle in der Oper – sehr maskulin. Andererseits redet sie nur indirekt über ihre Andersartigkeit und wirkt darin sehr in traditionellen Rollenvorstellungen gefangen.

Sie war im Grunde kaum bereit, über ihre vier Kinder von verschiedenen Ehemännern und Lebenspartnern zu reden – also über ihre Patchworkfamilie, mit der sie schon vor Jahren ihrer Zeit extrem voraus war. Obwohl wir ein sehr schönes Verhältnis hatten – immer wenn ich sie eine Stunde besuchen wollte, wurden fünf Stunden daraus –, sind viele Sperren geblieben.

Auch Ang Li, die reflektierte Schriftstellerin, redet nicht über ihre eigene Sexualität. Haben Sie diese allgemeine Zurückhaltung als Herausforderung oder als Hindernis empfunden?

Ich habe sie als etwas anderes akzeptiert. Ich habe bei den Dreharbeiten in Taiwan oft an meinen Dokumentarfilm „Didn’t Do It For Love“ über eine amerikanische Domina gedacht, die fortwährend ihr Innerstes nach Außen stülpte – an diesen Exhibitionismus, dieses starke Ich-Gefühl, das mir manchmal fast zu viel wurde.

Gegen die Ausstrahlung der Hsieh Yueh Hsi und der Li Ang wirkt DJ, die junge Filmemacherin, beinahe blass. Lag das auch daran, dass Sie sich bei den beiden anderen eher auf Augenhöhe begeben konnten?

DJ war am Anfang wirklich sehr scheu und verstand gar nicht, was an ihr so interessant sein soll. In diesem Alter sind ja auch wirklich noch nicht so viele Erfahrungen da: Sie hat die Universität beendet, lebt noch bei ihren Eltern, es gibt noch keine großen Brüche.

Andererseits ist es ungewöhnlich, mit Anfang zwanzig einen erfolgreichen Schwulenfilm zu drehen, in dem keine einzige Frau vorkommt.

Das ist es ja gerade: Sie sagt, sie wollte eine Liebesgeschichte drehen. Dass sich diese Geschichte zwischen zwei Männern abspielt, ist ihr ganz egal. Ich finde, dass DJ sehr gut zeigt, wie wenig sich Jugendliche in Taiwan heute für Geschlechterkampf interessieren. Dass sie kaum sexualisiert, beinahe androgyn wirken: Das kommt wahrscheinlich daher, dass ihre Kindheit und Jugend viel länger dauert als im Westen.

Ihre Heldinnen sind also alle nicht besonders offenherzig. Haben Sie deshalb Josephine Ho eingeschaltet, eine Genderforscherin, die sehr viel Licht ins Dunkel bringt?

Ich hatte sie ursprünglich sogar als eine der Protagonistinnen ins Auge gefasst. Ihre Verschlossenheit war aber noch viel extremer als die meiner drei anderen Frauen. Sie lebt regelrecht ein Doppelleben: Sie ist lesbisch, nach außen hin ist sie aber verheiratet.

Hatten Sie keine Angst, mit dieser analytischen Ebene könnte eine Instanz ins Spiel kommen, die Ihren Protagonistinnen nicht zutraut, für sich selbst sprechen zu können – eine Sprecherin, die anderen irgendwie abqualifiziert?

Ich bin da einfach meinem eigenen Erkenntnisinteresse gefolgt. Ich wollte das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in der taiwanischen Gesellschaft besser kennen lernen. Mir war zum Beispiel überhaupt nicht klar, warum es in Taiwan ein so weiches Männerideal gibt: Gute Erziehung wird in einem Land, in dem jeder auf Klassenaufstieg fixiert ist, sehr viel höher bewertet. Und weil Homosexuelle so sanft wirken, gelten sie oft als die besseren Männer. Das bringt die Genderforscherin sehr schön auf den Punkt.

Warum haben Sie sich für drei starke Frauen in kreativen Berufen entschieden? Warum ist – abgesehen von ein paar Randfiguren – keine ganz normale, durchschnittliche Frau dabei, zum Beispiel eine Verkäuferin oder eine Hausfrau?

Ich brauchte für den Anfang Frauen, bei denen ich schnell Vertrauen herstellen konnte und auch selbst keine Berührungsängste hatte. Aber ich denke gerade über einen Film über ein Mädchen in Taiwan nach, das vom Land kommt. Das würde ein ganz anderer Film werden.

In einer der lustigsten Szenen bestellt Li Ang einen Tisch für Sie und das Filmteam – und im selben Atemzug warnt sie die Restaurantbesitzerin vor dem schmalen Budget Ihres Filmteams. Warum gibt es nur diese eine Szene, in der Sie als Filmemacherin ins Spiel kommen – und in der etwas vom Verhältnis zwischen Ihnen und Ihren Frauen durchblitzt?

Auch das wäre ein anderer Film geworden, ein sehr subjektiver – vielleicht sogar ein Spielfilm. Ich wollte mit diesem Film eine erste Annäherung schaffen.

„Den Tigerfrauen wachsen Flügel“.20. 2., 17.00 Uhr, Cinestar 7