„Eine Lücke beim Umweltschutz kostet Prozente“

Udo Kuckartz über das große Ökobewusstsein der Deutschen – und warum die Grünen vor der Konkurrenz nicht zittern müssen

■ 57, Professor für Empirische Erziehungswissenschaft an der Universität Marburg. Forscht seit Langem über Umweltbewusstsein und hat zahlreiche empirische Studien durchgeführt, unter anderen die Studien zum Umweltbewusstsein in Deutschland für das Umweltbundesamt. 2006 erschien von ihm und Anke Rheingans das Buch „Trends im Umweltbewusstsein“.

taz: Herr Kuckartz, kommen Parteien ohne Öko bei den Wählern nicht mehr an?

Udo Kuckartz: Tatsächlich müssen Politiker den Umweltschutz abdecken, der Klimawandel ist bei den Bürgern längst angekommen, sie werden damit konfrontiert, etwa durch heiße, dürre Sommer. Jede Partei, die da eine Lücke hat, riskiert, im September bei der Bundestagwahl ein paar Prozente zu verlieren.

Nehmen Wähler die Öko-Avancen überhaupt wahr?

Die Parteien müssen schon sehr laut darüber reden. Wenn Frank-Walter Steinmeier oder Angela Merkel sehr viel lauter über den weltweiten Klimawandel und ihre Rezepte dagegen reden würden, käme das bestimmt an. Als Punkt vier in einem Wahlprogramm wird das natürlich nicht wahrgenommen. Wer liest das schon.

Welche Wähler legen denn besonders Wert auf Öko?

Die Städter, die Hochgebildeten, die Trendsetter – in den modernen Milieus ist Öko hip, schon seit Längerem. Gucken Sie sich an, wo sie Biosupermärkte finden, dort leben diejenigen, die die Parteien mit Öko ansprechen.

Wie Öko sind die Deutschen?

90 Prozent der Deutschen finden Umweltschutz wichtig, aber beim Wissen hapert es oft. Sie können nicht sagen, dass jeden Tag 130 Arten aussterben oder dass die Landwirtschaft für mindestens 20 Prozent der Klimagase verantwortlich ist.

Was ist den Deutschen am wichtigsten?

Politiker müssen glaubwürdig vermitteln, dass sie den Umweltschutz durchhalten, auch wenn es andere Probleme gibt. Der Kampf gegen die Erderwärmung und der Umstieg auf erneuerbare Energien sind fast allen Deutschen wichtig. Wie sich die Parteien da positionieren, ist vielleicht nicht der wichtigste Faktor für die Stimmabgabe – aber es ist einer.

Wie hat sich das Umweltbewusstsein in den letzten Jahren entwickelt?

Mit der Wirtschaftskrise ist das Ökobewusstsein nicht gesunken, im Gegenteil: es ist gestiegen. Die Bevölkerung nimmt häufig eine kritischere Haltung ein als die Regierung. Und die meisten achten darauf, dass ein Kühlschrank wenig Energie verbraucht; sie finden Vorgaben dazu richtig.

Wenn alle Öko machen, wo bleiben dann die Grünen?

Es gibt erhebliche Unterschiede. Jede Partei setzt sich ihr eigenes Ziel, wie stark die Treibhausgasemissionen gemindert werden sollen. Und die SPD schließt zum Beispiel den Neubau von klimabelastenden Kohlekraftwerken nicht aus, die Grünen tun das schon. Die einst alleinige Ökopartei muss noch keine Angst haben. INTERVIEW: HANNA GERSMANN