: „Jugendkultur braucht mehr Facetten“
Kulturelle Basisarbeit gegen rechts: Welche Erfahrungen gibt es bei den Bemühungen, Jugendliche in den neuen Bundesländern vor dem Abgleiten in eine rechtsextreme Jugendszene zu bewahren? Ein Gespräch mit Christiane Fetscher von der diesbezüglich engagierten Friedrich Christian Flick Stiftung
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
taz: Die Friedrich Christian Flick Stiftung fördert Basisarbeit gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz schon für ganz kleine Kinder, etwa ab fünf Jahren. Weshalb so jung?
Christiane Fetscher: Im Vorfeld der Gründung unserer Stiftung hat sich der Vorstand Gedanken gemacht, welche Kinder und Jugendlichen bei den staatlichen Programmen nicht genügend im Blickfeld sind, und da fiel die Wahl auf die Fünf- bis Fünfzehnjährigen. Denn soweit wir sie überblicken können, zielen die staatlichen Programme eher auf ältere Jugendliche ab. Bei den kleineren Kindern im Vorschul- und Grundschulbereich passiert nicht so viel – auch das ist ein Ergebnis aus der Pisa-Studie. Fängt man schon im Kindergartenalter an, sind die Kinder noch unbefangen und es gibt keine gebildeten Urteile oder Vorurteile. Die Idee und die Hoffnung geht dahin, einen Brückenschlag zu machen zwischen Kindergarten, Grundschule und weiterführenden Schulen. Kindergarten- oder Vorschulkinder sollen so gefördert werden, dass sie im Grundschulbereich sagen: Wir wollen unbedingt weitermachen.
Setzt sich diese Idee in Ihrem Förderprogramm um?
Wir sind keine operative, sondern eine fördernde Stiftung. Das heißt, wir reagieren auf Förderanträge, die an uns gestellt werden. Das Förderprofil entwickelt sich also aus der Anzahl und den Schwerpunkten der Anträge. In der Praxis zielen sie jedoch stark auf ältere Kinder und Jugendliche ab. Es gibt nicht so viele Anbieter, die Projekte im frühkindlichen Bereich machen. Ab und zu trete ich allerdings auch an Initiativen gezielt heran und sage, euer Programm ist interessant, macht ihr nicht auch etwas mit Kindern in dem und dem Alter?
Es spricht sich also herum, dass Sie gerne Projekte mit jüngeren Kindern unterstützen?
Ja, durchaus. Gerade bei den kleinen Initiativen spricht sich das relativ schnell herum. Die Initiativen und Organisation kennen sich hier in Brandenburg alle untereinander, wo wir schwerpunktmäßig fördern. Die regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule e.V., wie sie heißen, haben auch dezidiert Programme für Kindergartenkinder.
Zurzeit gibt es eine große NPD-Debatte. Funktioniert die Prävention, die die Flick Stiftung unterstützt? Reichen Zeitzeugenprojekte und Austausch oder müssten Sie nicht auch Projekte und Initiativen fördern, die sich direkt mit der NPD oder der DVU auseinander setzen?
Es ist vor allem unser Anliegen, Gegenangebote zu stützen, etwa alternative Jugendkultureinrichtungen zu stärken. In der Fläche ist das Hauptproblem, dass die Jugendlichen, die weder Mainstream sind noch dem kleinen Segment von wirklich rechtsgerichteten Jugendlichen angehören, kein Angebot haben. Etwa in einer Stadt wie Cottbus. Da war eines unserer ersten Projekte, einen Jugendclub zu unterstützen, der kurz vor der Pleite war. Wir wussten, dass das ein Ort war, an den Jugendliche hingehen und sagen: Der Club ist ein Grund, hier zu bleiben und nicht nach Berlin zu ziehen. Das Problem ist ja, dass die Kommunen unter Abwanderung leiden.
Also keine Arbeit mit rechtsgerichteten Jugendlichen?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir nicht mit manifest rechts eingestellten Jugendlichen arbeiten. Wir arbeiten mit all denen, die im Grauspektrum sind. Wir arbeiten bewusst mit Schulen zusammen, vor allem mit Gesamtschulen, die in ihrer Infrastruktur schlechter dastehen als etwa ein Elitegymnasium. Wir würden uns überheben, wenn wir mit manifest rechten Jugendlichen arbeiten würden. Das würde bedeuten, dass wir selbst Personal ausbilden müssten. Das führt zu den heiklen Projekten, wo man dann hört, die Rechten greifen das Geld ab, aber was passiert da wirklich? Findet da wirklich ein Wandel in der Einstellung statt? Es gibt diesen großen Graubereich, wo Gegenimpulse für die Jugendlichen wichtig sind.
Haben Sie nicht trotzdem das Gefühl, nicht nur Projektförderung machen zu sollen, sondern selbst initiativ werden zu müssen?
Ganz sicher. Das ist auch der nächste Schritt, an dem wir arbeiten. Der Zwischenschritt bedeutet, dass ich mir einen Überblick verschaffe und schaue, welche Initiativen zu meinem Profil passen. Die spreche ich gezielt an, was auf große Verwunderung stößt, denn das gibt es normalerweise nicht, dass ein Geldgeber kommt und sagt: Ich finde euer Programm so toll, erzählt mir doch mal, was habt ihr nächstes Jahr für ein Projekt, das bei uns gute Chancen auf Förderung hätte. Jetzt arbeiten wir zum Beispiel an einem Sportprojekt, das ich allein vor Ort mit einem Träger initiiert habe. Ich möchte bewusst ein reines Mädchenprojekt daraus machen. Wir geben schon Impulse, und auf Dauer wollen wir auch von dem reinen Reagieren weg.
Wenn Sie die Projekte besuchen und mit den Initiatoren reden, wird in der Diskussion eigentlich klar, wie sich solche rechten und nationalistischen Denkmuster entwickeln?
Das ist ganz schwierig zu beantworten. Nach meiner Erfahrung sind die Vorurteile und Denkmuster austauschbar. Sie sind nicht ideologisch verfestigt. Die Vorstellung, das seien nun alle im Kern oder in der Wolle gefärbte Neonazis, ist falsch. Wenn man sich die Kriminalitätsstatistik anschaut, sieht man, dass sich die Angriffe gegen Schwache richten, gegen die, die anders auftreten, sich anders verhalten. Ein klassisches Beispiel war der Mord in Petzow, wo der Junge abwechselnd Punk und Jude genannt wurde, bevor er dann bestialisch ermordet wurde. Er hat einfach eine Form einer anderen Jugendkultur repräsentiert. Deswegen geht unser Ansatz dahin, diese andere Jugendkultur zu stärken. Man muss den drei Punks in Fürstenwalde das Gefühl geben, auch ihr habt einen Ort, wo ihr hingehen könnt.
Die politische Debatte, wie sie jetzt geführt wird, ist da nicht besonders hilfreich?
Nein. Es geht schon darum, das Leben in den Rahmenbedingungen wieder attraktiver zu gestalten. Damit die Jugendlichen nicht alle abwandern. Wenn die Jugendszene mehr Facetten hätte, dann gäbe es den Konformitätsdruck nicht in diesem Maße, wie er in den neuen Ländern zu beobachten ist. Die, die fit sind und aufgeschlossener, gehen weg, in den Westen oder nach Berlin. Und die, die übrig bleiben, haben dann das Gefühl, sie seien die Loser. Die sind natürlich besonders gefährdet. Und vor Ort wird vor allem konkrete Hilfe angenommen: Ist da jemand, der sich um mich kümmert? Da müssen wir aufpassen, dass wir den Rechten diesen Platz nicht überlassen. In Sachsen-Anhalt gibt es die Rechte im Nadelstreifenanzug, die zum Beispiel Hausaufgabenhilfe und Beratungsstunden anbietet. Das ist hoch gefährlich. Denn was können wir dem entgegensetzen?
Der Staat hat immer weniger Mittel zur Verfügung, Stiftungen können zwar ausgleichend wirken. Aber in der Fläche gibt es dieses Beratungsangebot nicht, und wenn sich da ein Rechtsradikaler an die Spitze setzt und sagt: Okay, ich seh schick aus, ich mach einen guten Eindruck, ich fahr die Türen ab und biete eine konkrete Hilfe bei den Fragen, die den Leuten auf den Nägeln brennen, Arbeitslosigkeit, Wohngeld, dann sehen wir alt aus.