: Mit Kopftuch keine Lehrstelle
DIE LEHRERIN Die Mädchen stehen in starkem Zwiespalt, sagt Gabriele Kremkow
■ ist 53 Jahre alt und unterrichtet Sport, Französisch und Darstellendes Spiel an der Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Berlin-Kreuzberg.
Das größte Integrationsproblem für uns ist es, Lehrstellen für muslimische Mädchen mit Kopftuch zu finden. Wir sind eine Schule im sozialen Brennpunkt in Berlin-Kreuzberg, neunzig Prozent unserer SchülerInnen sind Muslime. In jeder Klasse sitzen etwa zwei Schülerinnen mit Kopftuch. Wenn sie in eine Behörde wollen oder eine Lehrstelle außerhalb der muslimischen Community suchen, haben sie überhaupt keine Chance.
Wir sprechen dann schon darüber, ob ihnen das Kopftuch das wert ist. Manche schauen dann nur und schweigen. Andere sind sehr offensiv und sagen: Ja, das gehört zu mir. Wenn die Mädchen das Kopftuch schon lange tragen, dann sind sie daran gewöhnt, dann brauchen sie es einfach. Das ist ein echtes Dilemma. Dagegen wirken für mich Themen wie Schwimmunterricht oder Klassenfahrten zweitrangig.
Den Schwimmunterricht haben wir so geregelt, dass Mädchen und Jungen getrennt schwimmen. Ganz einfach. Aber die Klassenfahrten sind ein Problem. Zuerst ein finanzielles, weil viele SchülerInnen aus sozial schwachen Familien kommen. Und dann dürfen einzelne Mädchen nicht mitfahren. Weil ja „etwas passieren“ könnte. Manchmal kann ich Eltern damit beruhigen, dass ich mit den Mädchen in einem Schlafsaal schlafe.
Ich finde schon, dass es muslimische Schülerinnen insgesamt schwerer haben. Es gibt Mädchen, die von Cousins oder Brüdern kontrolliert werden, und zwar mit dem Argument, sie würden sich nicht wie eine ordentliche Muslima verhalten. Sie passen auf, dass die Mädchen nicht zu stark in Kontakt mit Jungen kommen.
Viele Schülerinnen bleiben bis 17 Uhr in der Schule, weil sie hier mehr Freiheiten haben als zu Hause. Wenn eine Schülerin mit Kopftuch entscheidet, dass sie es nicht mehr tragen möchte, wird sie kritisiert. Ich hatte Schülerinnen, die nicht in Sportvereine durften: Ihre religiöse Reinheit sei dann nicht gewahrt. Oder sie dürfen abends nicht mit ins Theater, weil es dann schon dunkel ist.
Obwohl es insgesamt eine Öffnung seitens der Muslime gibt, spüre ich, dass viele Mädchen in einem starken Zwiespalt stehen. Sie würden sich gern etwas „deutscher“ verhalten, aber sie wollen ihren Ruf als gute Muslimin nicht aufs Spiel setzen. So etwas verhandeln wir im Ethikunterricht. Oft sehen die Jungen das Problem gar nicht – und die Mädchen geben es nicht zu. Und wir wollen ja auch niemanden bekehren. Aber wir können ihnen Modelle zeigen, wo es anders läuft, und sie fragen, wie sie die finden. Bei manchen fällt es auf fruchtbaren Boden, oft entwickeln sie dann starke Bildungsambitionen. Auf diese Mädchen sind wir sehr stolz. Es gibt aber immer auch die anderen, die in einer Parallelgesellschaft verschwinden.
PROTOKOLL: HEIDE OESTREICH