: Die Schwierigkeit, das Thema beim Namen zu nennen
Eine Kampagne will zeigen, dass Homosexualität auch unter Migrantinnen normal ist. Mit Protesten wird gerechnet, sie sind sogar erwünscht
Das Matronat haben zwei weithin respektierte Frauen übernommen: Seyran Ates, Menschenrechtskämpferin und Anwältin, und Maren Kroymann, Schauspielerin. Beide obendrein lesbisch – also glaubwürdig für eine vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ins Leben gerufene und vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) mitverantwortete Aktion. In der geht es um Aufklärung über und Verantwortung für homosexuelle Mädchen und Frauen mit muslimischem Hintergrund. „Cigdem ist lesbisch. Vera auch!“ heißt der Titel des gelb grundierten Plakats, das ab sofort vor allem in Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg und im Wedding gut sichtbar öffentlich tapeziert wird. Im Grunde, heißt es aus dem LSVD, sei es eine Binsenwahrheit, dass es in migrantischen Szenen ebenso viele Lesben gibt wie in den Milieus der Mehrheitsgesellschaft.
Doch die Selbstwahrnehmung von Muslimen in Berlin ist eine andere: Schon im Januar ätzte auf der Internetseite vom Muslimrat ein Autor, es sei schon schlimm genug, dass in der Mehrheitsgesellschaft homosexuelle Frauen derart präsent seien – unter Muslimen sei dies undenkbar, zumal es lesbische Frauen unter ihnen nicht gebe. Mehr noch: Lesbisches und Muslimisches in einem Zusammenhang zu denken, sei islamfeindlich und beleidigend. Eine Einschätzung, die beispielsweise Seyran Ates keineswegs teilt. Frauen, die Frauen lieben, nicht nur spirituell, sondern auch körperlich, fänden sich auch unter Muslimen. Aber sie dürfen sich nicht bekennen, sonst gefährden sie sich und ihre Angehörigen – und müssen mit disziplinierender Gewalt rechnen – sprich: sie werden verprügelt und oft umgehend zwangsverheiratet.
Die Plakataktion, die im Roten Rathaus heute unter tätiger Mitwirkung der Senatsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen präsentiert wird, war insofern längst überfällig. Zumal bereits im Vorjahr eine Plakataktion für schwule Muslime Erfolg hatte: „Kai ist schwul. Murat auch!“ war sie betitelt und sorgte in Neukölln und Kreuzberg für Anteilnahme, meist jedoch für wütende Reaktionen. Ende des Jahres war endlich Geld für eine lesbische Variante der Aktion vorhanden – zumal der TBB noch mit dem ersten Teil der Aktion haderte: Sie war vielen seiner Mitglieder nicht willkommen. Als die Finanzen geklärt waren, als lesbische und muslimisch geprägte Models gefunden waren, kam es zwischen den Unterstützern noch zu Zwist, weil die Namensgebung als zu krass empfunden wurde: Die Senatsverwaltung störte sich an den Namen Fatma und Ayshe – religiös aufgeladenen Namen aus dem Kernbereich des Korans. Dass man sich schließlich auf den Namen Cigdem einigte, grenzt fast an ein Wunder. Und dass die deutsche Entsprechung „Vera“ lautet, geht auf den Wunsch der Gruppe Les Migras zurück, die meinten, Vera sei für nichtdeutsche Lesben der am deutschesten klingende Name überhaupt: eine hübsche Idee.
Resultat der vielfältigen Bündnisdebatte war freilich auch eine kleine Unlogik in der Überschrift. „Kai ist schwul. Murat auch!“ lebte in ihrer Artikulation von der islamistischen Unterstellung, dass ein Deutscher homosexuell sein könne, ein Muslim hingegen nicht.
Die lesbische Version („Vera ist lesbisch. Cigdem auch!“) war nicht durchsetzbar, denn sowohl Les Migras als auch die Zeitschrift l.mag betonten, es sei wichtig, dass die Migrantinnen zuerst, also favorisiert genannt werden sollten. Die LSVD-Organisatorin der Kampagne, Renate Rampf, nimmt diese Unwucht in Kauf: „Es war wichtig, dass das Bündnis groß wird.“
Mit Protesten wird gerechnet, insgeheim sind sie sogar erwünscht. Anwältin Seyran Ates meint: „Die Debatte muss geführt werden. Schweigen hilft niemandem.“ JAN FEDDERSEN