: Frau Merkel sollte es besser wissen
betr.: „Ja, wo sind wir denn?“, Interview mit Claudia Roth, „Visa-Affäre II“, taz vom 14. + 19. 2. 03
Es ist erschreckend von Frau Roth zu hören, dass man die „Dynamik“ der Auseinandersetzung in der Visa-Affäre unterschätzt habe. Deutschen Spitzenpolitikern sollte bekannt sein, dass die CDU/CSU immer dann, wenn ihnen zu den wirklichen Problemen in Deutschland nichts mehr einfällt, Stimmung gegen die Regierung mit „Ausländerthemen“ macht. Spätestens seit der „Doppelpass-Kampagne“ sollte auch bekannt sein, dass die Bedrohung des deutschen Volkes durch kriminelle Ausländer ein besonders erfolgreiches Thema ist, das jetzt durch das Thema Zwangsprostitution ergänzt wird.
Würden die Grünen etwas vom Thema Zwangsprostitution verstehen, hätten sie die Opposition darauf aufmerksam gemacht, dass jedes Jahr tausende von Frauen in Osteuropa in die Hände von gewalttätigen Zuhälterbanden geraten, nur weil es hier Millionen von deutschen Männern gibt, die gierig sind nach käuflichem Sex und die meinen, dass es ganz normal ist, mal eben ein paar geile Osteuropäerinnen per Telefon zu bestellen. Spätestens seit dem Schweigen der CDU/CSU zum Sexualverhalten Herrn Friedmans hat die CDU/CSU jede Glaubwürdigkeit zu diesem Thema verloren. Dass sich die Grünen jetzt mit diesem Thema in die Enge treiben lassen, spricht nicht gerade für sie.
Ähnlich ist es übrigens auch bei den Schwarzarbeitern aus der Ukraine. Ohne Nachfrage kein Angebot. Wie viel deutsche Bauunternehmer oder private Häuslebauer haben wohl die Dienstleistungen der „schwerkriminellen Ukrainer“ in Anspruch genommen und damit dem deutschen Volk Schaden zugefügt? Im Rahmen der „Visa-Affäre“ wäre für die Grünen Gelegenheit, einmal die Zusammenhänge der so genannten organisierten Kriminalität aus Osteuropa in der Öffentlichkeit zu diskutieren und darauf hinzuweisen, dass ein großer Teil dieser Kriminalität von Deutschen in Deutschland verursacht wird und in vielen Fällen die Menschen in Osteuropa davon mehr betroffen sind als die Menschen hier, denn es sind nicht die Deutschen, die in die Hände von modernen Sklavenhändlern geraten und von denen ausgebeutet werden. Doch selbst Frau Roth scheint der Mut zu fehlen, das einmal laut zu sagen. Schade eigentlich! FRIDA TRESCH, Ambilly, Frankreich
Gegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schwarzarbeit gibt es Gesetze, die bei Verstößen ihre Anwendung finden. Selbstverständlich gilt dies auch für Gäste, die von weither zu uns kommen. Doch längst nicht alle, die sich in einen Bus oder in ein Flugzeug setzen, um in den Bereich des Schengener Abkommens einzureisen, werden dies mit kriminellen Absichten tun.
Was das Fehlen von Freizügigkeit bedeutet, wird wohl nur recht ermessen können, wem sie fehlt. Ich bin alt genug, um noch persönlich eine Reihe von Menschen kennen gelernt zu haben, die mir berichtet haben, wie schwierig es für sie war, an Papiere zu gelangen, um der Nazi-Tyrannei zu entrinnen. Und auch wer 1989 in Leipzig auf die Straße gegangen ist, hat dies nicht für ein paar Jeans und Südfrüchte getan.
Eine Welt ohne Mauern und Stacheldrähte scheint vielen Politiktreibenden kein erstrebenswertes Ziel mehr zu sein. Frau Merkel sollte es besser wissen. ANDRÉ BESSLER, Bremen
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