Berliner Platte : Von deutschem Pop, der lieber Rock sein will, bis zu Rock auf Deutsch hin zum echten deutschen Pop
Pop nicht als ideologischer Kunstgriff in Großbuchstaben noch als eine alle Gefühle mit Pathos überwältigende Geisteshaltung, sondern Pop als umfassender Sammelbegriff, in den sich flüchten kann, wem sonstige Schubladen verschlossen scheinen – in so eine Kategorie passt allerhand rein, selbst so jemand wie Martin Kesici. Denn der ist Pop, auch wenn er eigentlich lieber ein richtiger Rocker sein möchte. Nein, die Gitarren auf seinem Debütalbum „So What.!?“ können noch so breitwandig daherkommen, die Stimmbänder sich noch so dehnend um klassisches Metal-Shouting bemühen: Die Grundlage der Popularität des Herrn Kesici war ein erfolgreicher Auftritt bei einer Casting-Show und Pop kommt nun mal ursprünglich von populär. In diesem Falle fusionieren gedrechseltes Kinnbärtchen und windelweiche Balladen, eine urbärlina Schnauze und solide runtergerissener Adult Oriented Rock zur absurden Pose, in der sich das sorgsam inszenierte Rebellenrocker-Image wie von selbst als prima vermarktbare corporate identity entlarvt. „I’ve got a life to live“, weiß Kesici zu verkünden. Eben dieses, möchte man ihm zurufen, sollte man nicht mit solcher Musik verschwenden, die zwar sehr viel mehr sein möchte als nur eine Ware des täglichen Bedarfs, leider aber eher eine alltägliche Plage ist, die demnächst in großem Stil Radiofrequenzen verstopfen wird.Wer überhaupt noch auf Englisch singt, wird heutzutage und hierzulande ja schon mal scheel angesehen, aber eine robuste Rückkopplung wurde bislang eher selten mit deutschem Gesang versehen. Sand.IG aber schaffen auf ihrem Debütalbum „Waren des täglichen Bedarfs“ die Verbindung zwischen gewaltigen Gitarrengewittern, die mal an Mars Volta erinnern, mal an selige Grunge-Gemütlichkeit, und Texten, die von Reflexionen über Kopfschwangerschaften bis zu Maschinengewehrfeuermetaphern reichen. Das ist noch nicht gleich Artrock wie von Mutter, aber bösartig genug, um nicht einfach so weggehört zu werden. Auf der Bühne, wo heute im Knaack der Record Release gefeiert wird, fällt dann die semantische Ebene ebenso wie die manchmal zirpende Elektronik dem Schweiß und der Oberkörperfreikultur zum Opfer.Immer schon und ganz selbstverständlich in Deutsch geht es auch zu bei Berend Intelmann, ob nun bei Paula, deren eine Hälfte er sehr erfolgreich seit Jahren gibt, oder auf seinem zweiten Solo-Album „Tagesthemen“. Ansonsten aber ist das Projekt Berend, hinter dem erstmals eine feste Band in klassischer Besetzung steht, für Intelmann vor allem Gegenentwurf zum elektronischen Paula-Pop. Dazu bedient er sich schrammelnder Gitarren, die direkt aus einer Garage aus den frühen 80ern zu kommen scheinen, im Solo leicht atonal abgehender Gitarren oder auch trocken rockender Gitarren, die ihr Selbstbewusstsein bei den Strokes abgeguckt haben. Wer aber das Tempo meist gemütlich mittelschnell hält, angenehm einlullende Melodien schreibt und fast schon Beach-Boys-mäßige Chöre wie in „Wofür wir leiden“ singen lässt, der darf, der soll, der muss wirklich Pop sein. THOMAS WINKLER