: Der Ort mit den zerbeulten Ohren
Luckenwalde war schon zu DDR-Zeiten eine Ringerhochburg. Auch heute kann der Verein deutscher Meister werden
LUCKENWALDE taz ■ Wenn man die Luckenwalder in ihrer Fläminghalle beobachtet, könnte man glauben, Ringen sei die schönste und wichtigste Sportart der Welt. Während der Bundesliga-Kämpfe sind eigene Worte kaum zu verstehen, so enthemmt brüllen sie ihre Liebeserklärungen Richtung Matte. Manche sagen, in der Luckenwalder Fläminghalle, 60 Kilometer südlich von Berlin, mache die Provinz eine Pause. Weil es weniger Probleme gibt, dafür mehr Erfolg. Und weil die Gäste aus dem Westen meistens die Unterlegenen sind, zumindest sportlich.
Am heutigen Freitag könnte der gefühlte Riesenwuchs sein Endstadium erreichen. Der 1. Luckenwalder SC ringt in Ludwigshafen mit Branchenprimus VfK Schifferstadt um die deutsche Meisterschaft. Nach der 12,5:13,0-Niederlage aus dem Hinkampf haben die Brandenburger noch immer die Möglichkeit, als ers- ter Verein aus den neuen Bundesländern den Titel zu gewinnen. „Wir sind noch nicht fertig“, sagt Roland Gehrke, Trainer und Freistil-Weltmeister von 1981. Es gibt schönere Orte als Luckenwalde – 20.000 Einwohner, 20 Prozent Arbeitslosenquote –, das geben sie zu, auch deshalb bewerben sie die Fläminghalle als größte Sehenswürdigkeit. Seit über 100 Jahren wird in der ehemaligen Industriestadt gerungen, 21 DDR-Meisterschaften haben sie gewonnen. Viele Einwohner haben verunstaltete Ohren, eine typische Ringer-Krankheit, verursacht durch Blutergüsse. Wer die zerbeulten Ohren nicht hat, so scherzen sie, kommt nicht von hier.
„Die Ringer schaffen Selbstvertrauen“, sagt Peer Giesecke, Landrat des Kreises Teltow-Fläming, „wir sind wieder wer.“ Man kennt diesen Satz von einem so genannten Fußballwunder. Doch so weit wollen sie in Luckenwalde nicht gehen. Das Interesse schwindet außerhalb der Stadt, es endet an der Grenze Brandenburgs. Deshalb genießen sie das Rampenlicht jetzt ganz besonders. Reinhardt Töpel zum Beispiel, der Aufsichtsratschef des LSC. Er erzählt die Geschichte vom Aufschwung wie einen Heldenepos. 1,3 Millionen Mark Schulden hatte der Verein, er stand vor der Pleite. Töpel und Klubchef Ulrich Engelmann schauten sich die Satzungen der Fußball-Bundesligisten Schalke und Wolfsburg an. Vor vier Jahren wurde ein Aufsichtsrat mit Unternehmern der Region gebildet. Die Bundesliga-Ringer wurden in eine GmbH ausgegliedert; der Sponsorenpool wuchs und sichert dem LSC inzwischen einen Etat von 400.000 Euro, der Verein ist konsolidiert. Ein Anwaltsbüro regelt die Verträge, die Ringer sind als freie Mitarbeiter tätig, nicht als Angestellte, der LSC spart dadurch Steuern.
Neidisch blickt die Konkurrenz auf das Management in Luckenwalde. Seriöses Wirtschaften in der Bundesliga ist nicht alltäglich. Die Tradition der Luckenwalder wäre ohne den späten Sprung in die Marktwirtschaft heute nichts wert. Ein halbes Jahr müssen sie sich nun bis zur nächsten Saison gedulden. Sie werden sich wohl mehr um den Fußball kümmern, immerhin zweitbeste Sportart der Welt.
RONNY BLASCHKE