: Zwischen Religion und Aufklärung
betr.: „Wenn das Familiengericht tagt“, taz vom 22. 2. 05
Gut, dass die Morde um der so genannten Ehre willen endlich auf den Tisch kommen. Hinzuzufügen wäre noch, dass solche Morde vor deutschen Gerichten zeitweise als Ausdruck einer kulturellen Prägung abgetan wurden und die Strafen dementsprechend niedrig ausfielen – als ob man als Mensch seiner Sozialisation hilflos ausgeliefert wäre.
Außerdem würde ich gern einmal wissen, hinter wie vielen der angeblichen „Ehrenmorde“ ganz andere Motive stecken, zum Beispiel Habgier, die Ausschaltung einer Miterbin oder die Vertuschung von Verbrechen wie sexuellem Missbrauch. In Jordanien, wo jährlich mindestens 30 Frauen um der „Ehre“ willen getötet werden sollen, brachten polizeiliche Ermittlungen in einigen Fällen Motive zutage, die mit der angeblichen „Ehre“ nichts zu tun hatten. Die laxe Gesetzgebung wurde bewusst ausgenutzt, teilweise wurden sogar Minderjährige zum Töten geschickt, weil diese nicht oder sehr gering bestraft werden. MARTINA SABRA, Köln
Es ist zynisch erheiternd, im gleichen Artikel zu lesen, in Deutschland hätte man Ehrenmorde zu lange aus falsch verstandener Rücksicht ignoriert, wenn es wenige Zeilen zuvor heißt, muslimische Frauen würden mangels besseren Wissens und aufgrund der eigenen Erfahrung zu Mittäterinnen werden. Denn es ist dieselbe Ignoranz, Feigheit, die dort deutlich wird. Warum wurden junge Männer zu Tätern? Etwa aus Veranlagung? Oh, Moment, dass „muslimisch“ habe ich da ja jetzt hereingeschmuggelt, denn das stand ja nicht in der taz: dass es Männer und Frauen muslimischen Glaubens sind, wird irgendwie in dem ganzen Artikel nicht wirklich thematisiert. Eher scheint es ein Nebenaspekt zu sein. Als wenn nicht der Ursprung zu suchen ist für solche kranken Ehrverständnisse im christlichen, jüdischen und muslimischen Glauben, welche das Weibliche grundsätzlich herabwürdigen und die Männer zu Herrschern und Bewahrern der weiblichen Reinheit erklären. Ist doch keine fünfzig Jahre her, dass in Old Europe gleiche Ansichten die Macht hatten und in der schönen neuen Welt wieder auf dem Vormarsch sind – trotz 150 Jahre Aufklärung. Oder hatten und haben wir nicht die gleichen beherrschenden Vorstellungen über eine anständige Frau? Hatten und haben wir nicht die gleichen Vorstellungen über vergewaltigte Frauen? Hatten und haben wir nicht die gleichen Vorstellungen über homosexuelle Frauen (und Männer)? Hatten und haben wir nicht die gleichen Vorstellungen über abtreibende Frauen?
Doch anstatt klar zu benennen, dass es ein Konflikt ist zwischen monotheistischer Männer-Religion und humanistischer Aufklärung, macht der Autor daraus ein Mann-vs.-Frau-Spielchen und ein Problem der Sexualität. Dabei ist es zuallererst ein Konflikt, der wegen des religiösen Inhalts eben auch unsere Gesellschaft noch zur Genüge betrifft und wo wir eben nicht Außenstehende sind, die den Kopf schütteln können über solche atavistischen, abstrakten Ehrvorstellungen, die schließlich doch konkrete religiöse Überzeugungen mit Todesfolge sind. RAINER LANDELE, Berlin
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