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Archiv-Artikel

Klassiker zum Schleuderpreis

Der Leiter der Jungen Philharmonie Köln ist in Frankreich festgenommen worden. Volker Hartung soll aus Osteuropa stammende Orchestermitglieder illegal und zu Dumpinglöhnen beschäftigt haben

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Der Leiter der Jungen Philharmonie Köln, der europaweit bekannte Dirigent Volker Hartung, ist in Frankreich verhaftet worden. Die Straßburger Staatsanwaltschaft hat gegen Hartung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Außerdem darf er bis auf weiteres in Frankreich keine Konzerte mehr veranstalten. Dem 49-jährigen Orchesterchef wird vorgeworfen, 56 Musikerinnen und Musiker der Jungen Philharmonie bei einer Tournee durch Frankreich illegal beschäftigt zu haben. Hartung wurde am Donnerstag Abend gegen Zahlung einer Kaution wieder frei gelassen.

Der Dirigent soll für sein Ensemble Musiker in Osteuropa und Staaten der ehemaligen Sowjetunion angeworben und dann zu Dumpinglöhnen von 30 Euro pro Auftritt engagiert haben. Die Musiker hätten für ihre Auftritte in Frankreich keine Arbeitserlaubnis gehabt, hieß es.

Hartung wurde bereits im vergangenen Oktober von den französischen Fahndern ins Visier genommen, als er dort mit seinem Ensemble gastierte. Die Staatsanwaltschaften von Nantes und Nizza ermittelten auch damals wegen möglicherweise illegaler Arbeitsverhältnisse zwischen den Musikern und dem Veranstalter, der WHO GmbH mit Sitz in Luxemburg. Hartung, der Direktor der WHO GmbH ist, durfte das Land erst nach Zahlung einer Kaution verlassen.

In einer schriftlichen Erklärung räumte Hartung anschließend ein, die Instrumentalisten und Sänger der Jungen Philharmonie Köln mit 30 Euro pro Auftritt bezahlt zu haben. „Eben weil die Musiker bezahlt wurden, hätten wir außerdem für jeden einzelnen Musiker eine individuelle Arbeitsgenehmigung für die Konzerte in Frankreich beantragen müssen“, gab der Orchesterleiter zu. Er sei aber „Dirigent, Künstler, und nicht Rechtsexperte“, rechtfertigte sich Hartung. Die Verträge habe sein Steuerberater ausgearbeitet. Für eine aktuelle Stellungnahme war Hartung gestern nicht zu erreichen.

Die Junge Philharmonie Köln rühmt sich, von Subventionen aller Art unabhängig zu sein. Das Orchester stellt sich im Internet als ein „im Kern solistisch besetztes Kammerorchester“ von acht bis 14 Musikern vor, das für Konzertreihen auf bis zu 70 Ensemblemitglieder erweitert werde. Hartung leitet die Junge Philharmonie seit 18 Jahren.

Der Ensemblechef sieht sich als Opfer einer Kampagne französischer Arbeitnehmervertreter: Als „bekannter ausländischer Orchesterchef“ sei er für die „sehr politisierten Gewerkschaften“ in Frankreich „ein gefundenes Fressen“ gewesen, schreibt er in seiner Erklärung. Doch nicht nur die französischen Gewerkschaften, sondern auch ihre deutschen Kollegen kritisieren die Praxis, Musiker zu Niedriglöhnen zu beschäftigen. Heinrich Bleicher-Nagelsmann von der Fachgruppe Musik der Gewerkschaft Ver.di beobachtet die „Tendenz“ bei freien Orchestern, „Standards zu unterlaufen“.

Mit der so genannten Bolkestein-Richtlinie der EU-Kommission könne die Praxis, preiswerte Musiker im Ausland anzuwerben und dann in Deutschland, Frankreich oder anderen EU-Staaten auftreten zu lassen, bald zur Regel werden, fürchtet Bleicher-Nagelsmann. Denn nach der geplanten Dienstleistungsrichtlinie gelten nicht mehr die Arbeitsbedingungen des Landes, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt wird, sondern die Gesetze des Herkunftslandes des Arbeitgebers. So könnte zum Beispiel Hartungs Agentur in Luxemburg die Musiker auch bei Auslandstourneen zu den dortigen Konditionen beschäftigen und nicht zu den Arbeitsbedingungen, die in Frankreich gelten.

Nach Angaben seines Managers setzte Hartung die Tournee inzwischen fort. Die „Italienische Nacht“ im Konzerthaus Berlin sollte gestern wie geplant stattfinden. Bis zum Nachmittag waren mehr als 1.000 Karten zum Preis von 25 bis 35 Euro verkauft. Der Interpretation von Tschaikowskys „Capriccio Italien“ bescheinigte die Zeitung Die Welt ein „furioses Finale“.