: Querköpfe kommen an die Schulen – vorerst
Die Kultusministerien rufen nach neuen Lehrern aus anderen Berufen. Doch ihr Empfang ist oft holprig und die Nachfrage hat Grenzen
Früher saß Stephanie Towakol abends nicht zu Hause und dachte über pubertierende Achtklässler nach, denen sie etwas über den Klimawandel vermitteln wollte. Früher stand die Geografin in einem Ingenieurbüro und erstellte Bebauungspläne. Heute ist sie Referendarin an einer Haupt- und Realschule in Dortmund.
Die verheißungsvollen Rufe der von Lehrermangel geplagten Kultusministerien („Machen Sie Schule!“, „Bildung – Ticket in die Zukunft“) werden nicht nur von Studienanfängern erhört. In Zeiten düsterer Arbeitsmarktaussichten lassen sich auch Architekten und Anwälte, Ingenieure und Volkswirte in einen fremden Job locken. Zwar gibt es keine bundesweiten Angaben darüber, wie viele Quereinsteiger im Schuldienst sind. Nordrhein-Westfalen ist eins der wenigen Länder, das die Fachfremden separat zählt: Dort hat man alleine in den vergangenen zwei Jahren knapp 1.000 Quereinsteiger eingestellt. Nordrhein-Westfalen ist allerdings auch eins der wenigen Bundesländer, das von Quereinsteigern – von Ausnahmen abgesehen – nicht nur eine pädagogische Nachqualifizierung fordert, sondern ein regelrechtes Referendariat verlangt. Eine Initiative, die – in Zeiten, in denen die pädagogische Unterqualifizierung von Lehrern nicht zu Unrecht im Gespräch ist – allerorten begrüßt wird.
Wie in Bildungsfragen üblich, macht auch beim Seiteneinstieg jedes Land, was es will. Manche geben sich dabei viel Mühe. Hamburg hat dem Referendariat ein kleines Assessment-Programm samt Probestunden vorgeschaltet. Niedersachsen hat sich für die Einrichtung von ein- bis zweijährigen Schnellstudiengängen, die zum ersten Staatsexamen führen, entschieden. In anderen Ländern ist es allerdings vor allem beim Einstieg in die Berufsschule immer noch üblich, dass die Neulehrer im Wortsinne „nachqualifiziert“ werden. Sie absolvieren ein erziehungswissenschaftliches Begleitstudium, das erst beginnt, nachdem die ersten Stunden schon gehalten wurden. Das Resultat: Die Quereinsteiger fühlen sich überfordert und sind im Zweifel von wenig Nutzen für die Schüler. Auch Fälle des Mobbings durch Kollegen, die ihr (Vor-)Urteil bestätigt sehen, dass nur ein echter Lehrer ein guter Lehrer ist, werden immer wieder bekannt.
Wie lange der Bedarf an Seiteneinsteigern anhalten wird, ist offen. Zwar werden nach Angaben der Kultusminister bis 2015 rund 371.000 Lehrerstellen frei. Doch längst nicht jede wird besetzt. Der Essener Bildungsökonom Klaus Klemm rechnet in seinem Bericht „Teilarbeitsmarkt Schule“ vor, dass alleine in diesem Jahr 8.000 Lehrer weniger eingestellt wurden, als die KMK selbst prophezeit hatte. Zur gleichen Zeit ist der Unterrichtsausfall dramatisch.
Die Zeiten des Quereinstiegs von irgendwo könnten allerdings auch aus einem anderen Grund bald vorbei sein. Bundesweit müssen in den kommenden Jahren verbeamtete Mitarbeiter von Telekom, Deutscher Bahn und anderen einst staatlichen Betrieben untergebracht werden. Auch hier zeigt das bevölkerungsreichste Bundesland, wohin die Reise geht: Mitte Januar unterzeichneten das nordrhein-westfälische Schulministerium und die Deutsche Telekom AG eine Vereinbarung, laut der sich Beamte mit Hochschulstudium binnen zwei Jahren berufsbegleitend für den Schuldienst nachqualifizieren können. Bereits jetzt sind 50 Beamte der Telekom in Ausbildung für den Schuldienst. JEANNETTE GODDAR
Infos: www.ticket-in-die-zukunft.de und www.kmk.org