Rezeptsammlung
Wie produziert man Kunst? Mit dem Buch „Do It“ klärt der Kurator Hans-Ulrich Obrist darüber auf
Nur die arglosesten Zeitgenossen fragen noch: „Was ist Kunst?“ Schließlich ist die Antwort klar: spätestens seit Marcel Duchamp Alltagsgegenstände zu Readymades machte, allerspätestens seit Andy Warhol die viertelstündige Berühmtheitsoption für jedermann ausrief und Joseph Beuys ein für alle Mal den Kunstbegriff erweiterte. Kunst ist Handlung. Die Sechziger- und Siebzigerjahre erfreuten sich an Performances und Happenings, deren Choreografie auf einem Notizzettel Platz fand. Die Künstler und Künstlerinnen der Bewegung Fluxus, aber auch Literaten, Musiker und andere Aktivisten boten Handlungsanweisungen zur Herstellung von Kunst an.
Der international umtriebige Kurator Hans-Ulrich Obrist sammelt nun seit mehr als zehn Jahren solche künstlerisch motivierten Instruktionen – nicht nur historische, sondern vor allem zeitgenössische. Daraus wurde ein reisendes Ausstellungsprojekt der besonderen Art, das Publikum und Institutionen als kreative Agenten einbezieht. Die Prämisse lautet „Do It“ – und ist jetzt auch als Buch erschienen.
Poetisch bis praktisch, humorig bis heftig, naiv bis nachdenklich, subtil bis spektakulär sind die Vorschläge der 168 Beteiligten, temporär Kunst zu produzieren. Stehen bleiben und Fremde anlächeln (Louise Bourgeois), einen Aufruhr anzetteln (Stephen J. Kaltenbach), den Kopf als Pinsel benutzen (Paul McCarthy), sein Fahrrad als Zitronenpresse verwenden (Andreas Slominski). Nein sagen nicht als Limitierung der Sprache verstehen (Antonio Negri) und in Frankfurt am Main das Taxi 797 nehmen und nach der CD fragen (Anri Sala).
Das in revolutionär orangefarbenem, abwaschbarem Plastikumschlag herausgegebene Buch schont Leib und Leben der Benutzer nicht (Marina Abramoviç, Mona Hatoum, Joe Scanlan), gilt es doch, dekorative Schrumpfköpfe anzufertigen (David Askevold). „Do It“ empfiehlt sich auch als Kochbuch: wie man perfekten Tequila Pop zubereitet (Douglas Gordon), sich selbst kocht (Collins) oder wenigstens tödlich scharf (Rirkrit Tiravanija). Streng gehütete Rezepte werden preisgegeben, etwa wie man in 24 Stunden zehn Liter Coca-Cola herstellt (Martha Rosler) und in wenigen Tagen ein Kilogramm feinstes Kokain gewinnt (Wilson Diaz).
Nach der Lektüre und der Praxis des Buchs wird man genau wissen, dass man alles schon macht (Tino Sehgal), nichts von alledem (John Armleder) oder dass man es eben einfach lässt (Clemens von Wedemeyer), denn das ist das Beste (Carl Andre). Man kann das Buch ja auch verbrennen (Mircea Cantor). Auf jeden Fall wird der geneigte Leser tatsächlich realisieren, dass es gerade erst angefangen hat (Hans-Ulrich Obrist). Also mach es! MARCUS WOELLER
„Do It“, e-flux/Revolver Verlag. 370 Seiten, 25 €