Demontage eines Idols

Raus mit dem Mundschutz: Dariusz Michalczewskis Niederlage gegen Fabrice Tiozzo ist die letzte Ausfahrt für den polnischen Volkshelden vor einem selbstzerstörerischen Abgang als Preisboxer

von Christian Görtzen

Diese stechenden Augen des Champions, dieses selbstsichere Kopfnicken gepaart mit einem hämischen Grinsen, beinahe rhythmisch zu seinem Einlauflied „Feuer frei“ von Rammstein - all das verriet nichts Gutes für Dariusz Michalczewski. Als sich Fabrice Tiozzo, Weltmeister aus Frankreich im Halbschwergewicht nach Version der WBA, mit bedächtigem Schritt durch das Zuschauerspalier seinen Weg zum Boxring bahnte, vermittelte er den 16.500 pfeifenden Zuschauern in der ausverkauften Hamburger Arena vor allem eines: enorme Entschlossenheit.

Nur eine knappe halbe Stunde später wich die Anspannung aus dem Gesicht des 35 Jahre alten Titelträgers, der in einem Hollywood-Actionstreifen mühelos den Schurken mimen könnte. Tiozzo feierte seinen Sieg durch technischen K.o. nach 2:05 Minuten in der sechsten Runde; Michalczewski irrte im Ring umher, als hoffte er, dort irgendwo eine Erklärung für seine enttäuschende Vorstellung finden zu können.

Was zwischen diesen beiden Momentaufnahmen lag? Die Demontage eines alternden Boxers, der es partout nicht wahrhaben will, dass seine Zeit vorüber ist. Trotz all der Beteuerungen, dass er so intensiv trainiert habe wie nie zuvor, dass er in seiner Karriere zu keinem Zeitpunkt so fit gewesen sei – der 36 Jahre alte Pole, der lange in Hamburg gelebt hat, besaß 16 Monate nach seinem letzten Kampf (Punktniederlage gegen den Mexikaner Julio Cesar Gonzalez) nicht den Hauch einer Chance. Nur in der vierten Runde war der „Tiger“, wie er von seinen Fans genannt wird, seinem Gegner überlegen gewesen. Alle anderen vier Runden entschied der zwar nur ein Jahr jüngere, dafür aber flinkere, schlagkräftigere und in seinen Aktionen deutlich variablere Tiozzo für sich.

Beinahe noch schwerer als im Ring tat sich Michalczewski später damit, das Geschehene richtig einzuordnen und die logische Konsequenz daraus zu ziehen. Mit Tränen in den Augen und einer gehörigen Portion Trotz im Blick saß er im beigen Anzug mit roter Krawatte da, atmete schwer und vermittelte den Eindruck, als sei er nicht auf einem Pressepodium zu Gast, sondern auf dem Schafott. Er sei für einen winzigen Augenblick leichtsinnig gewesen, sagte er. Immer wieder redete er davon, dass er seinen Mundschutz vor dem K.o.-Schlag hatte ausspucken wollen, um Zeit zu gewinnen. Vergebens – wie so vieles an diesem Abend.

Nach kritischen Fragen und Empfehlungen, dass er es mit dem Boxen jetzt doch besser bewenden lassen sollte, stand ihm nicht der Sinn. „Es ist jetzt zu früh, um über ein Ende der Karriere nachzudenken. Ich möchte erst einmal darüber schlafen und werde dann in Ruhe entscheiden“, sagte er. Er müsse dafür erst noch die Meinung seines Trainers Fritz Sdunek, seines Promoters Klaus-Peter Kohl und seiner Familie einholen.

Den Ratschlag von Sdunek dürfte er geflissentlich überhört haben. Noch im Boxring hatte dieser ihm den Rücktritt nahe gelegt. „Es sollte keine Fortsetzung mehr geben“, sagte Sdunek. „Dariusz hat genug gezeigt und muss es niemandem mehr beweisen.“ Michalczewskis Berufskollegin Regina Halmich stieß ins gleiche Horn: „Hut ab vor dem, was er in seiner Karriere geleistet hat. Es gibt aber auch ein Leben nach dem Boxen.“ Sein Manager Klaus-Peter Kohl formulierte vorsichtig: „Ich glaube, er weiß selbst, was zu tun ist.“

Das Dasein als Adressat des Jubels, als Fixpunkt der Fernsehkameras würde Michalczewski aber fehlen. Als er die Arena verließ, tat er es mit drei Millionen Euro Börse und erhobenen Händen. So wie es Sieger zu tun pflegen, die ihrem Publikum die Beute des Kampfes, den WM-Gürtel, präsentieren wollen. Für einen kurzen Augenblick war es fast wie früher. Nur der Gürtel fehlte.