Auch Helden haben weiche Stellen

Kämpfen und ficken: Der Theaterregisseur James Macdonald macht aus Shakespeares „Troilus und Cressida“ an der Schaubühne ein wüstes Britpop-Sex-und-Gewalt-Drama – der Kampf um Troja findet hier im Lotterbett statt

Wer „Troilus und Cressida“ spielt, braucht triftige Gründe. Das Stück gehört zu den eher schwächeren Shakespeare-Dramen und leidet an einer etwas unübersichtlichen Motivfülle. Die tragische Geschichte des titelgebenden Paars, dessen Liebe zwischen den Fronten des trojanischen Krieges zerrieben wird, spielt für den Fortgang des Dramas nicht wirklich eine Rolle. Spannend macht das Stück lediglich Shakespeares ausgesprochen unromantischer Blick auf die berühmten Helden dieses Krieges – ob sie nun Hector, Achilles oder Agamemnon heißen: eine Bande lascher Zyniker, für die das Kriegführen schon lange keinen Sinn mehr macht.

Erotisch sind die Fronten sowieso längst aufgeweicht. Trojanische Helden, wie Königssohn Troilus, werden vom Griechenfeldherrn Odysseus höchstpersönlich zum amourösen Treff ins feindliche Griechenlager begleitet.

An der Berliner Schaubühne, wo der Brite James Macdonald die Geschichte jetzt inszenierte, sehen die verfeindeten Helden wie zwei heruntergekommene Football-Teams aus: Die Griechen spielen in Schwarz, die Trojaner in Weiß. Nicht kämpfende Teile der Truppe, wie Cheflogistiker Odysseus (Jörg Hartmann) oder der kupplerische Trojaner Pandarus (Thomas Bading), tragen Straßenanzug.

Je nach Tageszeit kann man Pandarus oder dem alten König Priamus (den Jürgen König als gealterten Schönling gibt) auch im Pyjama begegnen. Arbeitskleidung der besonderen Art trägt der griechische Lustknabe Thersites (Robert Beyer), der den Diskurs dieser ins Stocken geratenen Auseinandersetzung um die geraubte Griechenkönigin Helena, wo man inzwischen mehr Zeit im Lotterbett als auf dem Schlachtfeld verbringt, mit „Krieg und Geilheit“ auf den Punkt bringt. Hier leistet auch ein Loch in der Wand praktische Dienste, wo sich die gelangweilten Kriegsherren immer wieder anonym befriedigen lassen können. Beyer fegt in schwarzem Latex und mit dauereregiertem Gummipenis über Stefan Hageneiers blutrote, schräg ansteigende Bühne, über der ein rotes Segel mit der Aufschrift „Troja“ schwebt. Ganz vorne ein rundes Bett mit roten Satinkissen, in denen sich erst noch der schlaffe Fiesling Menelaus (Felix Römer) wälzt, dessen jämmerlicher Anblick sofort Verständnis für seine Exfrau Helena (Jenny Schily) weckt, obwohl der schmerbäuchige Weichling Paris (Roland Kukulies) später dann doch ernsthafte Zweifel an ihrem Männergeschmack aufkommen lässt. Das Bett dient später auch als gepolsterte Plattform für Schwindel erregende Schwert- oder Ringkämpfe.

Leider kommt der Abend selbst nicht so richtig in Fahrt. Es gibt schön angelegte Figuren, wie Agamemnon (Falk Rockstroh), unter dessen verlotterter Oberfläche noch ein Restsinn für Ehre glimmt. Oder Cassandra, die Claudia Geisler-Bading im Business-Outfit wie eine durchgeknallte Börsenanalystin aussehen lässt, deren hysterische Prognosen keiner mehr hören will. Auch Thomas Bading als Ehrgeizling Pandarus sieht man gerne zu, wie er seine Nichte Cressida (leider schwach: Jule Böwe) in die Affäre mit Königssohn Troilus, einem (von Lars Eidinger überzeugend gespielten) romantischen Riesenbaby, treibt.

Wenn Kay Bartholomäus Schulze als Feigling Achilles am schönen Körper von Hector schon die Stellen sucht, wo er ihn später tödlich verwunden will, zieht ein eisiger Hauch über die Szene. Aber Regisseur James Macdonald fügt die starken Momente des Abends zu keinem überzeugenden Ganzen zusammen. So verkümmert die Inszenierung bald in seinen Startlöchern, zieht sich über dreieinhalb Stunden hin und lässt am Ende offen, was hier außer einem wüsten Britpop-Sex-und-Gewalt-Drama eigentlich erzählt werden sollte. ESTHER SLEVOGT