: 300. Geburtstag im Dom, der keiner ist
Die Hugenotten brachten Berlin nicht bloß die Boulette, sondern auch die Französische Friedrichstadtkirche
Ein Dom, der keiner ist, eine Hugenottenkirche, in der kein Französisch gesprochen wird: Die zwischen 1701 und 1705 errichtete Französische Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt ist eine Schnittstelle Berliner Stadt- und preußischer Staatsgeschichte der vergangenen drei Jahrhunderte. Ab heute wird mit einer Festwoche ihr 300-jähriges Bestehen gefeiert.
Alles begann mit einer gewaltigen Einwanderungswelle. Im Herbst 1685 ließ der absolutistische Sonnenkönig Ludwig XIV. den Protestantismus in Frankreich offiziell verbieten. In der Folge wurden die Kirchen der so genannten Hugenotten zerstört. Mit der Einquartierung von Soldaten in ihre Familien wollte Ludwig sie zur Rückkehr zur katholischen Kirche zwingen.
Trotz eines strengen Ausreiseverbots flüchteten etwa 200.000 der insgesamt rund 800.000 Hugenotten ins europäische Ausland, rund 20.000 von ihnen in die Mark Brandenburg. Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte rasch auf die Unterdrückung seiner evangelischen Glaubensbrüder reagiert und sicherte ihnen freie Ansiedlung mit zahlreichen Vergünstigungen zu.
Um 1700 stellten die Flüchtlinge ein Drittel der 18.000 Einwohner Berlins. „Der Aufbau einer Parallelgesellschaft wurde regelrecht gefördert“, sagt der Pfarrer der Französischen Friedrichstadtkirche, Jürgen Kaiser. Die Zuwanderer hatten eigene Schulen, eine eigene Gerichtsbarkeit und genossen weitgehend Steuerfreiheit.
Für die vom Dreißigjährigen Krieg ausgeblutete Mark brachten sie wirtschaftlichen Aufschwung. Handwerk, Textil- und Metallindustrie erlebten durch sie eine Blüte. Wissenschaft und Kultur erhielten nachhaltige Anstöße. Ihnen verdankt das spätere Preußen die Einführung der Polizei, die erste Berliner Ausbildungsstätte für Lehrer, den Spargel, die Berliner Weiße und auch die Boulette.
Bei der alteingesessenen Bevölkerung führte das teilweise zu Missgunst und Überfremdungsängsten. Davor waren die Hugenotten aber durch die Protektion des Kurfürsten und späteren Königshauses weitgehend geschützt. 1701 durften sie den Grundstein für ihre erste zentrale Kirche in der Friedrichstadt legen, die 1705 eröffnet wurde. Die Architektur entsprach den streng reformierten Grundsätzen nach äußerlicher Schmucklosigkeit eines Sakralbaus.
80 Jahre später ließ Friedrich II. an das Kirchgebäude und an sein gegenüberliegendes Pendant, die „Neue Kirche“ für die deutsche reformierte Gemeinde, zwei gleich gestaltete Kuppeltürme anfügen. Die beiden praktisch funktionslosen Turmbauten sollten das städtebauliche Ensemble des späteren Gendarmenmarktes nach dem Vorbild der römischen Piazza del Popolo aufwerten. Da „Kuppel“ auf französisch „dome“ heißt, wurden beide Türme zum Französischen beziehungsweise Deutschen Dom, ohne jemals Bischofskirchen gewesen zu sein.
Heute beheimatet die Kirche neben der rund 1.200 Mitglieder umfassenden Hugenottengemeinde die Evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt und seit 2000 die Evangelische Akademie zu Berlin. Sie gehört zur berlin-brandenburgischen Landeskirche, genießt aber einige verbriefte Privilegien. So zahlen die Mitglieder ihre Kirchensteuern direkt an die Gemeinde, die Pfarrer werden von allen mitgewählt.
„Leider ist die Schwellenangst, unsere Gottesdienste zu besuchen, bei vielen Nichtmitgliedern sehr hoch, weil sie denken, dass er in Französisch abgehalten wird“, so Pfarrer Kaiser. Doch die letzten französischsprachigen Gottesdienste sind schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges abgeschafft worden. Damals wollte die Sprache der vermeintlichen „Erbfeinde“ keiner der Hugenotten mehr sprechen. EPD