: Four Oscar Baby
Die 77. Oscar-Verleihung im Zeichen der Eintracht: Hollywood im Jahr 2005 macht ganz einfach weiter – so wie der Präsident, gegen den die ganze symbolische Macht der Filmindustrie nichts half
VON BERT REBHANDL
Auf dem Titelcartoon des jüngsten New Yorker sind drei Oscar-Statuen zu sehen, die am Hintereingang des Kodak Theatre noch schnell eine Zigarette rauchen, bevor sie zu den Verleihungen hineingerufen werden. Die Illustration beschwört eine Stimmung von Routine und Ennui, als würden die Oscars so vergeben, wie am Potsdamer Platz Musical gespielt wird: en suite und ohne Überraschungen. Und so verlief die 77. Verleihung der Academy Awards Sonntagnacht in Los Angeles dann auch tatsächlich. Zwei alte Meister standen im Zentrum des Interesses, aber eine richtige Konkurrenz kam nicht auf: Zwischen Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ und Martin Scorseses „The Aviator“ machten die Mitglieder der Academy einen klaren Unterschied.
Sie kürten mit Eastwoods Boxerdrama ein humanistisches Kammerspiel, während sie Scorseses panoramatisches Bio-Pic über Howard Hughes mit Preisen in den technischen Kategorien abfanden. Ein Drama ist das nicht. Eastwood hatte mit dem Western „Unforgiven“ vor zwölf Jahren größere Einhelligkeit verdient und erzielt. Scorsese war für seine wesentlich besseren Arbeiten wie „Casino“ nicht so sentimental favorisiert worden wie in diesem Jahr mit „The Aviator“.
Das Duell der weißen Senioren blieb einseitig. „Million Dollar Baby“ wurde als bester Film und für die beste Regie ausgezeichnet, zudem erhielt Hilary Swank den Oscar als beste Hauptdarstellerin und Morgan Freeman für die beste Nebenrolle. Das Klavierthema, das Eastwood für seine Filme immer selbst zusammenklimpert, war ein passendes Leitmotiv für einen Abend im Zeichen der Eintracht. Selbst Chris Rock, der als Präsentator sein Debüt gab, blieb zahm. „Damn, Whoopi sieht aber gut aus“, feixte er über sich selbst und in Abgrenzung von seiner Vorgängerin Whoopi Goldberg. Eine unhöfliche Bemerkung über Jude Law war der größte Fettnapf, in den Chris Rock trat.
Hollywood im Jahr 2005 macht einfach weiter – wie der Präsident im Weißen Haus, gegen den die ganze symbolische Macht der Filmindustrie nichts half. Mit „Bush-Bashing“ hielt sich Chris Rock ganze drei Gags lang auf, dann konzentrierte auch er sich auf die Angelegenheiten, für die er seiner Hautfarbe wegen als zuständig gilt: Er machte Witze über den Status der afroamerikanischen Schauspielers in Hollywood. Zwischen race und face, zwischen genetischem Schicksal und kosmetischer Chirurgie liegen nirgendwo so viele Möglichkeiten (und Kliniken) wie im Einzugsgebiet der Academy.
Ein wenig zynisch wirkte es dann doch, dass ausgerechnet Martin Scorsese dazu ausersehen war, einen Humanitarian Award zu vergeben, eine Art Pflegeversicherungs-Oscar, während der ältere Clint Eastwood in olympischer Ruhe ganz vorne auf die Höhepunkte des Abends warten durfte. „The Aviator“ errang zwei Pflichtsiege: einen Oscar für Schnitt, der an die verdiente Thelma Schoonmaker verliehen wurde, und für die beste Nebenrolle, der an die Favoritin Cate Blanchett für ihre Darstellung von Katharine Hepburn ging. Das gelbe Kleid von Cate Blanchett war die auffälligste Modeentscheidung des Abends, sieht man von der Brille von Spike Lee ab, der aber nur in den Zwischenschnitten auftauchte, um die afroamerikanische Präsenz zu bekräftigen.
Als Jamie Foxx wie erwartet als bester Hauptdarsteller in „Ray“, dem Bio-Pic über Ray Charles, geehrt wurde, erhielt sogar die Talk-Lady Oprah Winfrey ein Dankeschön für bloße Anwesenheit. Ein kleiner rhetorischer Stolperer des Rappers Sean Combs war viel aufschlussreicher als die nur für ein paar Sekunden sentimentale acceptance speech von Foxx: Der notorische Großsprecher Combs ging auf der Bühne des Kodak Theatre beinahe in Deckung, so sehr schien ihn das Ambiente einzuschüchtern. Als dann auch noch der Künstler, der früher einmal als Prince bekannt war und nun auch wieder so genannt wird, auftrat, um ein hellblaues Jäckchen und einen Musik-Oscar zu präsentieren, war die Hierarchie zwischen Film- und Musikindustrie wiederhergestellt: Hollywood rules okay.
Die nächste ethnische Offensive wird inzwischen vorbereitet: Die Chinesin Zhang Ziyi, bekannt aus „Tiger & Dragon“ und „House of the Flying Daggers“, durfte zum ersten Mal die großen Worte sprechen: „And the Oscar goes to …“ Chris Rock verzichtete auf einen Witz über die yellow peril. Er hatte schon vor dem Oscar-Abend bei einer nicht repräsentativen Umfrage in einem ganz normalen Kinocenter in Los Angeles herausgefunden, dass ohne Ansehen der Hautfarbe das Publikum ganz andere Vorlieben hat als die Academy: „White Chicks“ ist der Favorit der Massen, eine Komödie über zwei schwarze Cops, die weiße Zicken spielen müssen.
Adolf Hitler war in diesem Kontext natürlich chancenlos: „Der Untergang“, Deutschlands Beitrag in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“, unterlag sang- und klanglos dem spanischen Drama „Das Meer in mir“. „Die Geschichte von dem weinenden Kamel“ hatte gegen den Dokumentarfilm über Kinderprostitution, „Born Into Brothels“, das Nachsehen. Die deutsche Filmakademie wird daraus die richtigen Schlüsse ziehen und den Deutschen Filmpreis aufwerten, indem sie Erkan & Stefan als Moderatoren engagiert. Für die Oscars ist jetzt wieder ein Jahr Rauchpause.