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Archiv-Artikel

Ein bisschen Provokation

INTENDANTENWECHSEL Wenn Joachim Lux im Herbst die Intendanz des Hamburger Thalia Theaters übernimmt, will er zwar keinen Kurswechsel einleiten. Aber ein bisschen stärker provozieren als sein Vorgänger Ulrich Khuon möchte er schon. Zum Beispiel, indem er den „Bürgerschreck“-Regisseur Luk Perceval engagiert

Das Thalia Theater

Das Thalia ist – neben dem Deutschen Schauspielhaus und der Experimentierbühne Kampnagel – eins der drei großen Hamburger Sprechtheater mit festem Ensemble.

■ Das große Haus am Alstertor hat rund 1.000, die Studiobühne in der Gaußstraße 170 Plätze.

■ Ulrich Khuon, der zuvor das Niedersächsische Staatstheater Hannover leitete, war seit 2000 Intendant, er folgte auf Jürgen Flimm.

■ Eine wichtige Neuerung unter Khuon waren die den Nachwuchs fördernden Autorentheatertage, die Joachim Lux in dieser Form nicht weiterführen wird.

VON PETRA SCHELLEN

An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht, dem neuen Intendanten des Hamburger Thalia Theaters; wie sollte es auch: Immerhin ist Joachim Lux (50) seit 2006 Chefdramaturg am Wiener Burgtheater und hat mit allen wichtigen Regisseuren der Republik inszeniert. Da ist es nur ein kleiner Schritt ins Labyrinth des Thalia, in dessen Eingeweiden sich manche immer noch verlaufen, und seien sie auch schon Jahre hier.

Aber Lux, der im September beginnt, wird sich weder verlaufen noch verzetteln: nicht zwischen Regisseuren und nicht zwischen Grübeleien über Publikumsgeschmäcker. Das glaubt er jedenfalls, und man glaubt es mit, wenn man ihn Sätze sagen hört wie: „Man muss eine innere Bindung an den Regisseur und seine Handschrift haben, um ein authentisches Programm zu machen.“ Dass man Stücke, die sehr wenig Zuschauer anziehen, vielleicht trotzdem absetze, stehe auf einem anderen Blatt. Schließlich kämen ein Viertel der Einnahmen über den Eintritt herein. Lux: „Man kann nicht immer Träumer sein.“

Aber eine Zeit lang schon – etwa, wenn man Spielpläne konzipiert, wenn man über die Besetzung des 45-köpfigen Ensembles nachdenkt oder über nachhaltige Themen. Lux macht aus diesen Dingen kein Geheimnis. Im Gegenteil: Er redet und lacht gern; das hatte man von ihm, dem Westfalen, nicht erwartet. Aber Lux hat ein paar Jahre im Rheinland – am Düsseldorfer und Kölner Schauspielhaus – verbracht. Das half.

Ob er Angst vorm Erbe Ulrich Khuons hat, der ans Deutsche Theater Berlin geht? Angst vielleicht auch vorm Platzhirsch Schauspielhaus? „Nein“, sagt er entschieden. Die Trennung in das per se aufgeklärte Schauspielhaus und die „Alte Tante Thalia“ stimme schon seit 20 Jahren nicht mehr: „Das hat sich längst verschoben. Heute haben wir in Hamburg zwei starke, moderne Häuser mit markanten Regiehandschriften.“ Und die fortschrittliche Linie, die Khuon begann, werde er natürlich fortsetzen.

Das sagt er nicht nur, das tut er bereits – hat er doch ohne Bedenken etwa den Regisseur Luk Perceval engagiert, der als quasi-revolutionärer „Bürgerschreck“ durch die Theaterlandschaft geistert und in Hamburg 2000 durch den zwölfstündigen Shakespeare-Marathon „Schlachten“ bekannt wurde. Am Schauspielhaus, unter dem experimentierfreudigen Intendanten Tom Stromberg war das, und wenn Perceval jetzt ans Thalia geht, ist das ein Indiz für eine Modernisierung, die Lux noch weiter treibt als Khuon.

Im Wesentlichen bleibt Lux der Khuon‘schen Linie aber treu: Jelinek wird er spielen, den von Khuon schon geschätzten, eigenwillig-experimentierfreudigen Regisseur Nicolas Stemann engagieren. Zudem wird er Jan Bosse – jenen philosophisch-versponnenen Regisseur, den Stromberg fürs Schauspielhaus entdeckte, holen. Dazu den Ungarn Kornél Mundruczó, den chilenisch-portugiesisch-stämmigen Antú Romero Nunes …

Die Stücke werden ein Mix aus Projekten wie Percevals „Kennedytrilogie“ und Ilja Trojanows „Die Welt ist groß“ und bürgerlicheren Stoffen wie Ibsens „Peer Gynt“ oder Lessings „Nathan“ sein. Auch Shakespeares Othello wird gespielt – allerdings in einer Bearbeitung des deutsch-türkischen Kult-Autors Feridun Zaimoglu.

Multikulturalität ist also gewährleistet, und das ist gewollt: „Wir spielen hauptsächlich ausländische Autoren“, sagt Lux und deutet – ganz vorsichtig, er will kein Ideologe sein – eine thematische Linie an. „Ich will kein Motto, das man dann wie bei der Volkshochschule über den Spielplan schreibt.“ Trotzdem gebe es natürlich ein alles überspannendes Thema. „Wir erleben derzeit einen epochalen Wandel unserer kulturellen Identität“, erklärt Lux. „Angesichts unserer so multi-ethnischen Gesellschaft, in der sich Essens- und Kleidungsgewohnheiten so stark mischen wie die Religionen, stellt sich die Frage: Wie definiert sich Europa – jene Gated Community, die Menschen abweist und im selben Atemzug sudanesische Piraten, die doch nur Symptom der Nord-Süd-Kluft sind, ‚böse‘ nennt?“

Täuscht man sich, oder hat Lux, der wenig über Politik redet, da gerade eine winzig kleine Kapitalismuskritik formuliert? „Ich würde keinen platten Antikapitalismus predigen“, sagt er nur. „Da käme man angesichts des gescheiterten Sozialismus ja auch in Argumentationsnöte. Aber ich will durchaus sensibilisieren für für gesellschaftspolitische Konstellationen.“

Besonders für die bekannten Antipoden, möchte man ergänzen: Sehr gezielt hat er neben der „Kennedytrilogie“ – einem Stück über den Triumph des Kapitalismus – die „Marx-Saga“ nach Juan Goytisolos‘ Roman in den Spielplan genommen. Verbrecherisch seien beide Systeme, sagt Lux. „Und ist es nicht zynisch, dass der Kapitalismus ausgerechnet im Jahr 20 nach dem ,Sieg‘ über den Kommunismus selbst strauchelt?“ Nicht, dass es ihn freuen würde. Und irgendwen missionieren will er auch nicht. Aber „es würde mich auch nicht stören, wenn Theater eine Wirkung hätte“.

Lux schätzt es überaus, sich zu streiten. Sich zu reiben an Publikumserwartungen, die er gut zu kennen glaubt: „Das Thalia-Publikum schätzt das Ensemble und das Schauspieler-Theater. Und das wird es bekommen, Regietheater hin oder her“, sagt er. Andererseits seien da „große Beharrungssehnsüchte im Jetzigen, wobei man zugleich tief innen weiß, dass Veränderung nötig ist“. Bei der Lux‘schen Provokation handelt es sich, das räumt er ein, eher um eine ästhetische. Er wolle keine radikale Abtrennung von der Ära Khuon – oder gar das Theater neu erfinden. „Wir sind nur ein kleines Stadttheater, was können wir letztlich ausrichten“, stapelt er tief.

Ja, was kann er tun: zum Beispiel – man hatte es schon befürchtet – zu neuen Publikumssegmenten vorstoßen. Zu jenen, „die bislang nicht den Weg ins Theater fanden“. Welche das sein könnten? „Ich denke da wieder an die multi-ethnische Gesellschaft, die sich gern vollständiger im Publikum abbilden darf“, sagt Lux. Außerdem an jene, die Formate wie Percevals Mitmach-Spektakel „2BEORNOT2BE“ schätzen. Wer mag, kann sich dafür noch bis zum 7. Juli, 19 Uhr, unter 2be@thalia-theater.de anmelden, um am 3. September auf der Bühne des großen Hauses drei Minuten lang über ein Thema seiner Wahl zu reden.

Wer das für einen Klamauk hält, gedacht zur Anbiederung ans hart umworbene junge Publikum, liegt richtig. Er wolle „gegen die Alterspyramide anarbeiten“, bestätigt Lux. Ein eigentlich sinnloses Unterfangen, wie er gleich einräumt, zeigen Studien doch konstant, dass Menschen bis Ende 20 ins Theater gehen und dann erst mit 50 wiederkommen. Das bedeute aber nicht, dass das Publikum konservativere Inszenierungen verlange, sagt Lux. „So einfach ist das nicht. Senioren sind ja nicht automatisch konservativ. Und es gibt sehr vergreiste 20-Jährige.“

Er schweigt und lässt andere formulieren, was ihm zu pathetisch scheint. Ja, sagt er dann, und schaut ertappt, er wolle Theater für geistig jung Gebliebene. Aber nicht für Arrogante: „Das Theater soll weder ein elitärer Sonderzirkel noch ein Fußballplatz sein.“

Übersetzt in seine Spielplan-Idee heißt das: Diskurs ist willkommen, Applaus auch. Aber nicht zu viel. „Wenn wir zu laut beklatscht werden, sind wir genauso gescheitert, als wenn wir vor leeren Reihen spielten.“