Liebe und Gewalt

„Verwoben“, der mitreißende zweite Roman der pakistanischen Autorin Uzma Aslam Khan

VON KATHARINA GRANZIN

Dia, die von ihrer für pakistanische Verhältnisse ungewöhnlich emanzipierten Mutter zu Selbständigkeit und Offenheit erzogen wurde, trifft Daanish, der in den USA studiert. Beide verlieben sich, doch Dias Mutter will die Verbindung nicht. So informiert der Klappentext von „Verwoben“, dem zweiten Roman der pakistanischen Autorin Uzma Aslam Khan. Eine handelsübliche „girl meets boy“-Story also, gewürzt mit einer Prise cultural clash. Oder?

Der Prolog vermittelt einen anderen Eindruck. Eine Meeresschildkröte kommt an Land, um ihre Eier in den Sand zu legen. Ein Junge verteidigt das Tier mutig gegen einen Eierdieb und wird brutal zusammengeschlagen. Die friedliche Szene mündet in eine Orgie der Gewalt. Schon nach zwei Seiten liest man mit angehaltenem Atem und denkt „Wow!“, so schnell und tief wird man hineingezogen in dieses Buch. Ein selten furioser Auftakt. Die scheinbare Diskrepanz zwischen Klappentext und Prolog macht neugierig, doch man begreift bald, dass da gar keine Diskrepanz ist. Ja, es gibt auch Liebe. Doch hat sie es schwer, denn dieses Buch handelt von Pakistan, wo es permanent unterdrückte Spannungen zwischen den einzelnen Volksgruppen gibt, und von Karatschi, wo sich diese Spannungen regelmäßig in Gewaltexzessen entladen.

Uzma Aslam Khan schreibt nicht für zarte Gemüter und nicht – wie etwa Kamila Shamsie – aus der Warte intellektueller Auslandspakistani. Khan beschreibt die Gewalt, sie zeigt drastisch, was es für die Einzelnen bedeutet, wenn in einer Gesellschaft brutales Verhalten ein normaler Bestandteil des Lebens ist. Die junge Dia lebt mit einem Gefühl der ständigen Bedrohung. Ihr Vater wurde gefoltert und ermordet, ein unaufgeklärtes Verbrechen. Seitdem fahren sie und ihre Mutter Riffat nur in Begleitung bewaffneter Leibwächter aufs Land, hinaus zu einer Seidenraupenfarm, die Dias ganzes Interesse gilt. Bis sie Daanish kennen lernt, der zur Beerdigung seines Vaters aus den USA kommt, und sich in ihn verliebt. Es beginnt eine leidenschaftliche, geheime und angesichts der widrigen Umstände in Karatschi komplizierte Affäre.

Khan besitzt ein feines Gespür für ihre Figuren. In jedem Kapitel wechselt der Roman die Perspektive und erzählt aus der Sicht von fünf Personen. Dabei werden nicht nur Dias sehnsuchtsvolle, abwartende Zwischenexistenz oder Daanishs Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen nachfühlbar, sondern auch die Leiden von Daanishs Mutter Anu oder die verdrängte Tragik im Leben der äußerlich so toughen Riffat. Unauflöslich verwoben sind die Geschichten dieser High-Society-Figuren mit dem Schicksal des Fischerjungen Salaamat, dem unglücklichen Schildkrötenretter am Anfang, dessen Vorgeschichte auch das Rätsel um den Tod von Dias Vater löst. Eine traurige, grausige, aber auch spannende Geschichte, die in komprimierter Form die Misere Pakistans sichtbar macht: Behördenwillkür, Unterdrückung der Schwachen, Extremismus und die regionale Gewaltherrschaft einzelner Gruppen, auf die der Staat keinen Zugriff mehr hat. Salaamat kann sich dem Kreislauf der Gewalt entziehen, aber zu einem hohen Preis.

Khan produziert bei all dieser Tragik keine Trauerkloßliteratur, sondern einen Roman, der so aufwühlend wie mitreißend ist, dabei ganz lakonisch erzählt wird und dennoch stets mühelos seinen poetischen Grundton hält. Gleichzeitig ist „Verwoben“ unaufdringlich feministisch, markiert einen deutlichen Abgesang auf das traditionelle Patriarchat, ohne männliche Sichtweisen pauschal zu denunzieren. Und selbst im größten Elend, ja auch in der brutalen Welt der extremistischen Untergrundkämpfer findet Khan immer wieder Momente zarterer menschlicher Empfindungen, die umso mehr berühren, als sie unmittelbar übergehen können in Momente größter Menschenverachtung.

Uzma Aslam Khan: „Verwoben“. Aus dem Englischen von Anna Salmann. Europa Verlag, Hamburg 2004, 460 Seiten, 24,90 Euro