: Fragile Vase
Starkes Qualitätsgefälle: Tanz aus Tunesien, Ägypten und von der Elfenbeinküste bei „Polyzentral“ auf Kampnagel
Angesiedelt auf demselben Kontinent, trafen am Wochenende beim Festival „Polyzentral“ auf Kampnagel zwei Welten aufeinander: In Zentralafrika erfreut sich auch der zeitgenössische Tanz zunehmender Beliebtheit; man scheut keine Experimente mit neuen Formen. Der von der arabischen Kultur geprägte Norden des Kontinents dagegen gilt als sehr körperfeindlich. Zeitgenössischer Bühnentanz ist dort eine Ausnahmeerscheinung und wird für Frauen schnell zum Politikum. Wie jüngst für eine Festivalleiterin in Marokko, die wegen eines als anstößig empfundenen Gastspiels verhaftet wurde. Grund war der Auftritt der tunesischen Tänzerin Imen Smaoui mit ihrem Solo „Point“. In transparentem Gewand bewegt sie sich darin zu vom Band eingespielten Koranversen.
Bei ihrem Auftritt in Hamburg musste Smaoui zwar keinen Tabubruch befürchten. Ihre eigenwillige Strenge beeindruckte jedoch nachhaltig: Imen Smaoui verzichtet auf allen Firlefanz. Langsam und schwebend durchschreitet sie den Raum, trägt ihren (krankheitsbedingt) kahlen Kopf wie eine zerbrechliche Vase. So verletzlich wie ihr Tanz wirken irgendwann auch die Stimmen des Korangesangs. Und man fragt sich, woher sie die Kraft nimmt, ein solch fragiles Kleinod für die Freiheit mit jedem Auftritt neu zu errichten.
Der zweite Beitrag des Abends, für den sich die Compagnie Maat aus Ägypten und die Compagnie Tche Tche von der Elfenbeinküste in einem gemeinsamen Projekt zusammengefunden hatten, ließ keinerlei Grenzüberschreitungen erkennen und enttäuschte mit unreflektierten Modern Dance-Choreografien. Dabei gilt dies als Vorzeigeprojekt für eine Kooperation zwischen einem arabischen und einem schwarzafrikanischen Land.
Nacheinander treten in dieser Choreographie zwei Tänzerinnen und ein Tänzer hinter einer weißen Stellwand im weiß ausgeschlagenen Bühnenraum hervor und hocken sich mit dem Rücken zum Publikum nieder. Das Spiel ihrer Muskeln vor der glatten weißen Fläche gibt ein ästhetisch gelungenes Anfangsbild ab. Und wenn Karima Mansour, die Ägypterin, nach Beatrice Kombe Gnapa und Jean Luc Okou, an der Reihe ist, verschieben sich die Gegensätze für einen Moment. Doch leider verpassen sie die Chance, eine Begegnung stattfinden zu lassen. Stattdessen stimmen sie über weite Strecken in Dreiecksformation Tanzetüden an, die Mansour genau so aus dem Trainingssaal ihrer Ausbildung an der London Contemporary Dance School eingesammelt haben könnte.
Die beiden anderen, ausgebildet an Mathilde Monniers Centre Choréographique in Montpellier, sehen dabei nicht so glücklich aus. Doch bleibt ihnen nichts übrig, als dem heroischen Gestus, mit dem Monsour ungebrochen anachronistisches Vokabular präsentiert, zu folgen. Weitere Indizien eines sich folkloristisch gebenden Kulturverständnisses: die bunte Bemalung der Stellwände mit naiven Strichmännchen, Blumenbeeten und Hütten. Marga Wolff
„Polyzentral“ ist bis 19. 3. auf Kampnagel zu erleben. www.kampnagel.de