: Revolution besingt ihre Kinder
Pit Budde macht Ethno für Kinder und denkt an Völkerverständigung. Aus dem einstigen Mitglied der Anarchoband „Cochise“ wurde ein Weltmusiker
AUS MÜNSTER LUTZ DEBUS
„Diese Heile-Welt-Texte, diese Heile-Welt-Musik, das ist doch grauenvoll!“ Das Urteil von Pit Budde über den musikalischen Einheitsbrei in Kinderzimmern ist hart. Die meisten Melodien und Harmonien für den Nachwuchs wiesen eine kaum erträgliche Klangarmut auf. Als Pit Budde vor zehn Jahren für seine inzwischen vierzehnjährige Tochter Rahel Musik suchte und nicht fand, beschloss er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Seine Frau Josephine Kronfli stammt aus Äthiopien. So wurde für die Tochter der Kinder-Ethno kreiert.
Gerade nimmt die Familie mit Freunden im Studio die neunte CD auf. Die Band nennt sich Karibuni. Aus allen Erdteilen wurden für „Shalom, Salam - peace4kids“ Friedenslieder gesammelt. Budde spielt eine Probeaufnahme vor. Sonnige afrikanische Musik dringt aus den Boxen. Dann beginnt der Gesang in Kicongo. Budde erzählt die reale Geschichte eines Kindersoldaten aus Angola. Ob der Junge überlebt? Benjamin Blümchen macht jedenfalls kein „Töröööh!“, die Frage bleibt offen. Wie beim alten Struwwelpeter kann es auch tragisch enden. Natürlich, so Budde, seien die Inhalte völlig andere. Bei Zappelphilipp und Suppenkasper ging es um Zucht und Ordnung, das Anliegen von Karibuni sei die Völkerverständigung. Agitieren möchte er seine kleinen Zuhörer trotzdem nicht: „Wir wollen den Kindern das Fremde anbieten. Die sollen ihre Unverkrampftheit behalten, weiter mit großen Augen durchs Leben gehen.“ Vierjährige haben, so Budde, keine Angst vor dunkelhäutigen Menschen. Auch die Ohren der Kinder seien noch nicht so ängstlich. Ein orientalisches Lied werde im Siebenachtel-Takt gespielt. Erwachsene verknoten sich dazu die Beine, Kinder tanzen rhythmisch mit.
Buddes „musikalische Vollwertkost“ ist recht erfolgreich. Die CD mit Indianerliedern wurde 20.000 mal verkauft. Regelmäßig ist sie in der WDR-Kindersendung „Lilipuz“ zu hören. „Wenn man viele Jahre von den Medien ignoriert wurde, tut das natürlich gut,“ sagt Budde. Und richtig versteht man das erst, wenn man die Biographie des 52-jährigen kennt.
Hineingeboren in proletarische Verhältnisse lief Pit Budde schon Mitte der Sechziger Jahre bei den Ostermärschen gegen Wiederaufrüstung mit. Er machte eine Lehre als Instrumentenhändler beim traditionsreichen Musikhaus Schlüter in Dortmund. 1968 riss er von Zuhause aus, fuhr nach Paris. Dort war gerade so etwas wie Revolution im Gange. Er wurde verhaftet, abgeschoben. Wieder zu Hause entdeckte er den Folkclub „Studio D“ in der Wittelsbacher Straße in Dortmund. Hier traf er Gleichgesinnte, ein freies Jugendzentrum wurde gefordert, 1973 das erste Haus besetzt. Pit Budde zupfte Gitarre in der Band „Manderley“. Man habe sogar auf DKP-Festen gespielt. Aber vor dieser Art von Kommunisten hatte er keine Berührungsängste. Es sei eher komisch gewesen, wenn die aus der Provinz angereisten Genossen mit verklärter Mine vor den Fördertürmen, Kohlehalden und Hochöfen standen. Als Kind aus dem Ruhrgebiet kann Budde dieser Industrieromantik nichts abgewinnen.
Ende der Siebziger Jahre wurden die Auseinandersetzungen mit der Polizei härter. Das autonome Jugendzentrum Wischlingen wurde gewaltsam geräumt, ein sozialdemokratisch gestalteter Freizeitpark wurde gebaut. Da musste, so Budde, die Musik auch härter werden. Der Anfang von „Cochise“.
Die LP „Rauchzeichen“ fehlte in keiner alternativen Plattensammlung. „Cochise“ machte etwa 100 Konzerte im Jahr. Man pendelte zwischen Startbahn West, Mutlangen, Wackersdorf und dem „Komm“ in Nürnberg. Doch auch die Auseinandersetzungen in Dortmund – die Rodung der Platanen auf der B1, die Besetzung von Häusern in Dorstfeld – begleitete „Cochise“ musikalisch und physisch. Cochise war auch Demo-Kapelle, dort Erlebtes wurde bereimt und besungen – und manche Kritiker nannten das witzelnd „Frontberichterstattung“. Die Graswurzel-Rocker hatten es auch sonst nicht einfach: Wie Jahrzehnte zuvor Bob Dylan mussten sich auch „Cochise“ den Vorwurf gefallen lassen, mit E-Gitarren zu musizieren. Übel nahm man ihnen auch, zu Transportzwecken höchst unökologisch das Auto zu benutzen.
Auf der großen Friedensdemonstration 1983 in Bonn standen sie auf der Bühne. Vor 350.000 Leuten. Willy Brandt sprach. „Das war eigentlich schon der Niedergang,“ erinnert sich Budde. Zuerst wollte keiner der Künstler aus dem Engagement in sozialen Bewegungen, der Friedens- und Umweltbewegung Kapital schlagen. Ein Vertrag bei einer großen Plattenfirma kam für die neu entdeckten Alternativstars nicht in Frage. Später unterschrieben die meisten dann aber doch bei den Musikmultis und Alternativansätze waren dahin.
Cochise unterschrieb nicht. Schließlich, so war es auf ihrer ersten Schallplatte zu hören, könne man Geld nicht essen. Die Band aus Dortmund wurde radikaler; radikaler als ihre Fans. „Die Bewegung ging den Bach runter“, sagt Budde. Bevor die Konzerte zu Nostalgieveranstaltungen verkamen, löste sich Cochise 1988 auf.
Pit Budde reiste erst mal durch die USA. Obwohl er nie dorthin wollte, erlebte er nicht den Kapitalismus, sondern den Sonnentanz der Indianer in Oregon. Seine Sichtweise der Welt wurde auf den Kopf gestellt. Er berichtigt sich: „Vom Kopf auf die Füße“.
Wieder in Deutschland, lernte er Josephine kennen. Zusammen bereiste das Paar ihre Heimat Äthiopien. Sobald Pit Budde von Äthiopien berichtet, leuchten seine Augen. Er habe viele Musiker kennen gelernt. Auch viele sehr arme Menschen. In Deutschland seien materiell arme Menschen oft deprimiert. In Äthiopien habe er Menschen kennengelernt, die trotz der Armut ihre Würde behalten haben.
Er ging nach Tansania. An der Kunsthochschule von Bagamoyo arbeitete Pit Budde mit tansanischen und deutschen Künstlerinnen an einem Musical-Drama. Im Zentrum der Stadt gab es noch den Galgenbaum aus der deutschen Kolonialzeit zu sehen. In Lünen bei Dortmund erkannte er bald andere Bezüge zur alten kalten Heimat, er machte Musik mit Flüchtlingen aus westafrikanischen Ländern. Besuchte Kindergärten und Schulen, um den Kindern die fremden Länder und Menschen näher zu bringen. Das Projekt wurde positiv aufgenommen. Ein geglücktes Signal für Verständigung und Toleranz, hieß es, man spielte gar vor Johannes Rau. Dann kam für die Combo ein zynisches Ende: Die afrikanischen Musiker wurden nach und nach abgeschoben. Nur zwei Flüchtlinge konnten bleiben, sie heirateten ortsansässige Frauen.
Pit Budde ist in der Gegenwart angekommen. Er sitzt, umringt von ein paar wirklich schönen Gitarren, in seinem Wohnzimmer, nippt am Cappuccino. Erinnerungsstücke aus Afrika und Kanada stehen in den Regalen. Neben der Audioanlage liegt eine CD von „Juli“. Ein schmuckes Doppelhaushälftchen in einem Vorort von Münster. Pit Budde – vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer?
Lächelnd winkt er ab: „Alles nur gemietet.“ So viel könne er mit Ethnomusik nicht verdienen, dass aus ihm ein Bausparer werde. Nach wie vor sei sein Leben ein ökonomischer Drahtseilakt. Aber die wirklich existenziellen Probleme habe er am Horn von Afrika gesehen. „Es ist für mich wie ein Lotto-Gewinn, dass ich seit 30 Jahren von meiner Musik leben kann.“