Die Sozialisten in der Europafalle

Mit einer Kampagne gegen die „militaristische und neoliberale“ EU-Verfassung wollte die PDS bei Europaskeptikern und Globalisierungsgegnern punkten. Doch im Bundesrat werden PDS-Senatoren für die Verfassung stimmen. Der Streit eskaliert

VON ROBIN ALEXANDER

Das Thema „Europa“ sollte für die PDS ein Erfolg werden, mit dem die Ostpartei auch bei westdeutschen Globalisierungskritikern punkten wollte. Deshalb werben die Sozialisten als einzige nennenswerte Partei in Deutschland für ein Nein zur EU-Verfassung, die sie für „neoliberal und militaristisch“ halten. „Ziel des Vertrags ist die weitere Militarisierung der Europäischen Union hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit“, heißt es in einem scharf formulierten Parteitagsbeschluss. „Es reicht“, plakatierten die Sozialisten noch im Europawahlkampf. Doch nun droht die mit Verve begonnene Kampagne ins Absurde zu kippen: Wenn am 18. März die Verfassung im Bundesrat zur Abstimmung steht, werden die rot-roten Koalitionen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mit Ja stimmen – das zeichnet sich jetzt schon ab.

„Das ist keine Frage, an der wir die Koalition scheitern lassen werden“, erklärt der Berliner Landesvorsitzende Stefan Liebich. Diese Sprachregelung beschreibt ein Modell, auf das sich die Berliner Sozialisten mit ihrem Koalitionspartner SPD geeinigt haben. Demnach darf die PDS ihr Nein im Berliner Senat artikulieren, verzichtet aber darauf, dass sich die Hauptstadt im Bundesrat enthält – obwohl dies der Koalitionsvertrag bei Uneinigkeit zwischen den Partnern explizit vorsieht. Damit beugt sich die PDS dem Druck des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). In Mecklenburg-Vorpommern wird hinter den Kulissen noch gerungen, aber auch die Nordgenossen neigen zum Nachgeben in dieser Frage.

Das wollen nicht alle in der PDS hinnehmen. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch verweist auf den Parteitagsbeschluss, der explizit vorschreibt, im Bundesrat auf eine Ablehnung hinzuwirken. „Der hat Bindungswirkung für alle Mitglieder – auch für Senatoren“, meint die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. „Berlin und Mecklenburg müssen sich im Bundesrat enthalten – wie es auch die Koalitionsverträge vorsehen.“

Lötzsch fordert sogar den PDS-Chef Lothar Bisky zum Eingreifen auf: „Der Ball liegt jetzt eindeutig beim Parteivorsitzenden.“

Doch Lothar Bisky fällt als Schlichter aus, weil er in einem mehrwöchigen Urlaub in Neuseeland weilt. Überhaupt nimmt der PDS-Vorstand in den letzten Monaten nur eine Zuschauerrolle ein. Das eigentlich mächtige Parteigremium ist die Konferenz der ostdeutschen Fraktionsvorsitzenden.

Die sechs dort vertretenen Provinzfürsten halten die Festlegung auf ein Nein zur Verfassung mittlerweile für einen strategischen Fehler, weil Europagegner in Deutschland eher auf der Rechten vermutet werden. Sie meinen, die PDS hätte sich besser auf die populärere Forderung nach einer Volksabstimmung beschränken sollen.

Zumindest einigen Landesfürsten sind jedoch inzwischen Zweifel gekommen, ob man die Nein-Kampagne wirklich im Bundesrat ad absurdum führen kann. Der Thüringer Fraktionsvorsitzende und Bundeswahlkampfleiter Bodo Ramelow, der sich Hoffnungen macht, den gesundheitlich angeschlagenen Gregor Gysi als Spitzenkandidaten für 2006 zu beerben, warnt: „Einen Kotau vor Wowereit darf es nicht geben.“ Die PDS müsse der SPD im Gegenzug zur Zustimmung für die Verfassung wenigstens Widerstand gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie abringen. Ramelow versucht händeringend doch noch eine gemeinsame Haltung der zerstrittenen Genossen zu schaffen – die aber bekämpfen einander mit harten Bandagen.

So unterstellen die Gegner der Verfassung ihren mitregierenden Genossen, längst näher an der SPD als an Positionen der eigenen Partei zu sein. Wowereit habe vor allem bei Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) offene Türen eingerannt, heißt es. Umgekehrt fühlen sich die PDS-Realos von ihren Kritikern verfolgt: Die hätten die Europafrage absichtlich zur Falle für die rot-roten Koalitionen gemacht.

Manchem erscheint der Streit um die Europäische Verfassung schon wie ein böses Menetekel für das PDS-Schicksalsjahr 2006. Der potenzielle Spitzenkandidat Ramelow warnt die Genossen: „Wenn wir uns hier zerreiben lassen, brauche ich mir um die Strategie für die Bundestagswahl überhaupt keinen Kopf mehr zu machen.“