Die Angst vor der Restauration

Zur staatlichen Regulierung der Banken und Finanzinvestoren gibt es viele Pläne. In Deutschland wie auf EU-Ebene. Nur wenige davon wurden bisher praktisch umgesetzt

Neues Gesetz: Der Bundestag hat am Freitag das Gesetz zur Entsorgung risikoreicher Wertpapiere in sogenannte Bad Banks beschlossen. Es ermöglicht Geschäftsbanken und Landesbanken, freiwillig ihre Bilanzen zu bereinigen.

Giftpapiere: Für die Landesbanken, die von den Sparkassen und Ländern getragen werden, geht es um Giftpapiere und riskante Geschäftsbereiche im Volumen von 600 Milliarden Euro. Die privaten Banken besitzen nach Schätzungen der Regierung Schrottpapiere von circa 230 Milliarden Euro, die stetig an Wert verlieren und die Bilanzen belasten. Davon sind schon 40 bis 50 Milliarden Euro abgeschrieben, sodass 180 bis 190 Milliarden Euro für Bad Banks in Frage kommen.

Verlustrisiko: Das Verlustrisiko tragen nach Angaben der Bundesregierung die Institute selbst und ihre Eigentümer. Für das Gesetz stimmten die Abgeordneten von SPD und CDU/CSU. Die Opposition aus FDP, Grünen und Linken votierte geschlossen dagegen. Der Bundesrat muss am 10. Juli noch zustimmen.

VON HANNES KOCH

Interessante Dinge hat der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick in London gesehen. Auf der britischen Insel arbeitet ein Amt namens Financial Services Authority. Diese Aufsichtsbehörde nimmt den Verbraucherschutz ernst. Sie schickt Kontrolleure in die Banken – als harmlose Privatanleger getarnt. Bei den Instituten führen die Prüfer fingierte Beratungsgespräche, lassen sich die Prospekte zeigen und nehmen die Geldanlagen unter die Lupe. Ob die Bank versucht, ihre ahnungslosen Kunden über den Tisch zu ziehen, fällt dabei schnell auf.

„Warum gibt es so eine Behörde nicht in Deutschland?“, fragt Schick. Tatsache ist: Der Verbraucherschutz im Bankenbereich gehört nicht zu den gesetzlichen Aufträgen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Verschiedene Institutionen wie die Gewerbeämter kümmern sich in Deutschland darum, dass die Banken den Kunden keine haarsträubenden Produkte verkaufen, aber deren Kompetenzen sind zersplittert.

Würde eine solche Behörde wie in Großbritannien auch hierzulande existieren, hätte sie den Millionenbetrug mit den Ramschzertifikaten der inzwischen bankrotten Lehman-Bank vielleicht verhindern, die Anleger zumindest warnen können. In ihrem neuen Schuldverschreibungsgesetz, das der Bundestag am Freitag verabschiedete, hat die große Koalition eine starke Verbraucherschutzbehörde trotzdem nicht vorgesehen. Einige Verbesserungen sind zwar enthalten – etwa die Verlängerung der Verjährungsfrist bei betrügerischer Beratung –, aber eine wirksame Aufsicht mit Stichprobenkontrollen wird nicht etabliert.

Seit zwei Jahren ist die Finanzkrise im Gange. Hat sich seitdem etwas geändert oder machen die Banken einfach weiter wie früher? Dass eher Letzteres zutrifft, befürchten viele. Zu den Skeptikern gehört Michael Sommer, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. „Vorläufig abtauchen, ansonsten aber fröhlich weitermachen“ – das sei das Motto der Geldinstitute, sagte Sommer am Mittwoch beim DGB-Kongress „Umdenken – Gegenlenken“. Bei derselben Veranstaltung ließ selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) Argwohn erkennen: Manche Vermögensmanager „wollen die Restauration, die Rückkehr zum Status quo“.

Um das zu verhindern, beschloss die große Koalition diese Woche mehrere Gesetze. Diese Maßnahmen suggerieren Aktivität. Trotzdem muss das Fazit lauten: Es mag zwar viele Pläne geben, praktisch umgesetzt worden ist davon aber fast nichts.

So existiert eine neue staatliche Banken- und Finanzmarktaufsicht mit drastisch erweiterten Kompetenzen bis heute nicht. Weder kooperieren die Bundesbank und die BaFin, die beiden deutschen Kontrollinstanzen, auf effektive Art miteinander, noch arbeitet eine einheitliche europäische Bankenaufsicht, die das komplizierte internationale Geflecht der Investoren überschauen würde. Auch auf der Ebene der Produkte hat sich bis auf wenige Ausnahmen nichts geändert. Grundsätzlich dürfen die Banken alles verkaufen, was sie wollen. Wenn sie heute keine faulen Immobilienkredite mehr zu vermeintlich gewinnträchtigen Wertpapieren bündeln, liegt das nur daran, dass die Käufer vorsichtiger geworden sind.

„Ich will eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte“, hatte Finanzminister Steinbrück beim DGB-Kongress gesagt – und er werde sie auch durchsetzen. Was stimmt?

Beispiel Leerverkäufe: In der Tat hat die BaFin den Investoren bestimmte Geschäfte verboten. Ungedeckte Leerverkäufe, bei denen man mit Aktien spekuliert, die man gar nicht besitzt, dürfen nicht mehr stattfinden. Dies gilt für Aktien der Deutschen Bank, der Commerzbank und anderer Institute. Die BaFin will damit verhindern, dass Investoren den Aktienkurs nach unten treiben und das labile Finanzsystem zum Einsturz bringen.

Klingt konsequent – ist in Wirklichkeit aber eine vorübergehende Notmaßnahme, die nur bis Anfang 2010 gilt. Beispiel Eigenkapital: Durch die am Freitag beschlossene Änderung des Kreditwesengesetzes kann die BaFin den Instituten künftig vorschreiben, mehr eigenes Geld als Sicherheit in Reserve zu halten. Auch dies ist gedacht als Notmaßnahme für Krisenfälle. Manche Experten fordern dagegen, das Eigenkapital der Banken grundsätzlich massiv anzuheben. Die Möglichkeiten für risikoreiche Milliarden-Spekulationen würde damit stark eingeschränkt. Auch Steinbrück denkt in diese Richtung, konnte sich aber in der Europäischen Union nicht durchsetzen.

Reichhaltiger als die recht kurze Liste der praktischen, bereits umgesetzten Veränderungen ist der Katalog der Ankündigungen. Das ambitionierteste Vorhaben hat Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst kreiert: Eine neue Charta für nachhaltiges Wirtschaften solle auf der Ebene der Vereinten Nationen die soziale Marktwirtschaft weltweit verbindlich machen. Die Regierungen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen (G 20) formulierten es konkreter und beschlossen, dass künftig „kein Markt, kein Akteur und kein Produkt“ ohne Regulierung oder Aufsicht bleiben solle. Und die EU hat sich geeinigt, drei neue Behörden für die Kontrolle der Banken, Versicherungen und Börsen zu schaffen. Dies wären Fortschritte – wenn sie umgesetzt würden.