: Warum die Aufregung?
betr.: „Ist die Visa-Debatte überhitzt?“, taz vom 5. 3. 05
Überraschend ist die Radikalität und Unfähigkeit zur Differenzierung eines taz-Kommentators, der meint: „Dabei muss gelten: Wenn nur eine einzige Frau wegen der Visapraxis gegen ihren Willen in einem Bordell landete, dann ist das eine zu viel.“ Klar, jedes Opfer ist eines zu viel, egal wo und warum. Aber die Visapraxis, die dieses verhindert, möchte ich mal sehen. Hat die Visapraxis unter Fischer dies begünstigt? War also die Visapraxis unter Rot-Grün im Ergebnis unmenschlicher als unter Kohl? Nun, genau die Belege hierfür blieben die Skandalrufer bisher schuldig. Was kommt, sind Unterstellungen und Behauptungen. Argumentiert man gegen diese Unterstellungen mit den wenigen Fakten, die man kennt, dann weiß Kommentator Füller darauf zu erwidern: „Woher kommt eigentlich das Vertrauen in die amtliche Statistik?“ Nun ist es aber wohl Aufgabe desjenigen, der „Skandal“ schreit, genau diesen zu belegen. Wie kommt man, wie kommt Herr Füller dazu, davon zu sprechen, Zwangsprostitution, Menschenhandel, Schwarzarbeit und anscheinend auch alle sonstigen Übel dieser Erde seien mit der menschlicheren Visapraxis von Rot-Grün über Deutschland hereingebrochen, wenn es sich durch nichts belegen lässt, außer mit dem negativen Bild, welches man über Menschen allgemein und Nichtdeutsche im Besonderen hat?
RAINER LANDELE, Berlin
In der „Visa-Affäre“ wird der Moralknüppel geschwungen. Dass die Konservativen da kräftig mitmischen, verwundert nicht: Dichte Grenzen und entsprechende Visapolitik sollen nicht mehr kritisch hinterfragt, sondern als ewig und gottgegeben in das Bewusstsein gepflanzt werden. Dass dies aber nur ein notwendiges Übel ist, geschuldet der großen Kluft zwischen den reichen, weniger reichen und armen Ländern, daran soll nicht mehr gedacht werden.
Vielleicht ist aber nur auf diesem Hintergrund eine vernünftige und weiterblickende Einsicht möglich – für die, die sich zum Kreis der weltoffenen, progressiven und linken Kräfte zählen. Die Sperrung der Grenzen gegen fremde Menschen aus armen Ländern beruht in den reichen Ländern auf dem Willen einer breiten Mehrheit – die einen vielleicht, weil sie sich grundsätzlich für etwas Besseres gegenüber den Habenichtsstaaten halten oder so was brauchen, um ihre eigene miese Situation aushalten zu können; die anderen, weil sie zwar nicht derart elitär denken, aber wissen, dass offene Grenzen den extrem rechten Kräften viel Zulauf bringen würden und der Fremdenhass enorm gesteigert würde sowie große soziale Unruhen zu erwarten wären.
Progressive, weltoffene Politiker/innen, die heute in Regierungspositionen kommen, müssen dem Rechnung tragen: Es ist eine schwierige Gratwanderung, um auszuloten, wie locker oder wie eng die Sperrung der Grenzen gehalten werden muss. Klar stellen müssen sie von vornherein, dass diese Angelegenheit für sie ein notwendiges Übel ist und keinerlei Begeisterung hervorruft; darüber hinaus, dass es sich wohl um eine zeitliche Maßnahme handelt, deren Ende heute leider noch nicht absehbar ist, und nicht um eine grundsätzliche und für alle Zeiten einzig mögliche Lösung. Dann können sie Fehler, die sie hier gemacht haben, in diesem Lichte besser erklären und sich deutlich von konservativen und engstirnigen nationalen Kräften abgrenzen. SIGURD WÜRGES, Frankfurt am Main
Woher nimmt Füller eigentlich die Gewissheit, dass es durch die zu untersuchenden Vorgänge zu vermehrter Zwangsprostitution gekommen sei? Laut einer Vertreterin von „Doña Carmen“ im „Stadtgespräch“ des Hessischen Fernsehens (Donnerstag, 3. März) ist Zwangsprostitution zumindest in Frankfurt am Main (internationale Drehscheibe, sehr viele ausländische Prostituierte) eine marginale Erscheinung: In den letzten 15 Jahren waren die unfreiwilligen Prostituierten an den Fingern einer Hand abzuzählen. Und, mal ehrlich: Wie ist mensch wohl erpressbarer – mit oder ohne Visum?
Ganz und gar nicht unwichtig ist die „maliziöse“ Frage, welcher Schaden denn entstanden sei. Bisher gibt es keinerlei belastbare Hinweise, dass überhaupt Schaden entstanden ist; es gibt plausible Argumente für das Gegenteil. Schließlich kehrt jemand dann sehr viel lieber in seine Heimat zurück, wenn er/sie weiß, dass es unproblematisch sein wird wiederzukommen; abtauchen in die Illegalität überflüssig. Wenn aber kein Schaden entstanden ist, warum dann die jetzige Aufregung – über zwei Jahre nach den ersten Presseberichten? TOBIAS HERP, Frankfurt am Main
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