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Archiv-Artikel

Lähmung und Wille

Der Tod als Befreiung: Alejandro Amenábar wählt in dem Film „Das Meer in mir“ den allzu gefühlsseligen Weg

Schon einmal spielte Javier Bardem einen Querschnittsgelähmten. Das war in „Carne trémula“ („Bebendes Fleisch“), einem Film Pedro Almodóvars aus dem Jahre 1997. Der Schauspieler gab darin den Polizisten David, der im Rollstuhl saß, nachdem er bei einem Einsatz gegen einen Geiselnehmer eine Schusswunde erlitten hatte. Erst am Ende des Films erfuhr man, dass der Schuss Teil eines ausgeklügelten Ränkespiels war. Nicht der Geiselnehmer, sondern Davids von Eifersucht getriebener Kollege zeichnete dafür verantwortlich. Wie reich an Peripetien, wie arm an Eindimensionalität die Filmlandschaft Almodóvars ist, bezeugte diese Volte. Und die Sorgfalt, die der Film darauf verwendete zu zeigen, dass David eine begehrenswerte Frau liebte, sie später verlor und in Miami ein neues Leben begann, bekräftigte den Eindruck der Vielgestaltigkeit.

Almodóvars Landsmann Alejandro Amenábar hat Javier Bardem wieder für die Rolle eines Gelähmten gecastet. Aber wie groß ist der Unterschied! Wo in „Carne trémula“ jede Tat eine ihr eigene Dialektik entfaltet, wählt Amenábar in „Das Meer in mir“ den geraden Weg und ist dafür mit Preisen, zuletzt mit dem Oscar für den besten ausländischen Film, überhäuft worden. Seit der Protagonist, Ramón, vor bald drei Jahrzehnten einen Badeunfall hatte, ist er vom Hals abwärts gelähmt, unfähig, etwas anderes zu bewegen als die Gesichtsmuskeln. Nichts wünscht sich Ramón sehnlicher, als diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Doch dafür braucht er die Hilfe Dritter. Die wird ihm qua Gesetzeslage verwehrt. „Das Meer in mir“ schaut Ramón dabei zu, wie er für sein Recht auf Sterbehilfe ficht. Das Ganze beruht auf einer tatsächlichen Geschichte.

Nun bedeutet der Umstand, dass in einem Film Sterbehilfe vorkommt, nicht zwangsläufig, dass dieser Film Sterbehilfe gutheißt. Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ zeigt dies, und die Proteste, die Behindertenverbände gegen den Film lancieren, beruhen wohl eher auf einem Missverständnis: der Übertragung einer politischen auf eine fiktionale Logik. Bei Amenábar aber stellt sich dies anders dar. Der Tod des Protagonisten ist der Fluchtpunkt des Films, auf ihn strebt das Gefühlskino mit allen Mitteln zu. Wo der Tod bei Eastwood sich als ein Teil in ein langes Scheitern einfügt, wird er von Amenábar als Befreiung gesetzt. Der Wille des Protagonisten ist dem Film mithin Befehl – nicht die Frage, woher dieser Wille rührt und ob sich ihm etwas entgegenhalten ließe. Doch solange ausgespart bleibt, was hinter dem individuellen Willen steckt, solange nicht einmal erörtert wird, warum ein Leben als lebenswert gilt, ein anderes nicht, wischt „Das Meer in mir“ die Brisanz seines Sujets beiseite.

Nur scheinbar begibt er sich damit in Sicherheit. Wenn Sterbehilfe auf der Ebene einer individuellen Entscheidung verhandelt wird, lässt sich kaum argumentieren oder widersprechen. So kommt es zu einer paradoxen Situation: Gerade indem er sich ganz dem Einzelfall verschreibt, behauptet der Film die Alternativlosigkeit des Todes. Erschreckend ist, dass Amenábar dies in keinem Augenblick als Dilemma begreift. CRISTINA NORD