: Kein Notdienst für Knacki
OSLEBSHAUSEN Ein erfahrener JVA-Sanitätsbeamter weigerte sich, einen verletzten Gefangenen zu untersuchen und wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt
Von Eiken Bruhn
Wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen musste sich gestern vor dem Bremer Amtsgericht ein Beamter der Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen verantworten. Laut Anklage hatte sich der 52-jährige Ralf G. als diensthabender Sanitätsbeamter geweigert, einen Gefangenen zu untersuchen, und habe diesen damit „länger als notwendig erheblichen Schmerzen“ ausgesetzt.
Drei Mal hatte Theodor E. in der Nacht auf den 21. April 2008 den Notfallknopf gedrückt und über starke Schmerzen in der Hand infolge eines Arbeitsunfalls geklagt. Jedes Mal erschien der zuständige Vollzugsbeamte, der G. anrief und bat, vorbeizukommen. G. sagte nur, er solle Schmerzmittel verabreichen, erinnert sich der Zeuge, dessen Aussage gestern vorgelesen wurde. Als G. beim dritten Mal – die Hand schwoll weiter an, die Schmerzen wurden trotz Medikamenten stärker und Theodor E. „langsam panisch“, wie er später zu Protokoll gab – immer noch nicht kommen wollte, habe er E. gefragt, ob er noch eine halbe Stunde bis zum Morgen-Umschluss aushalte, so der Zeuge.
Theodor E. bejahte dies laut seiner gestern verlesenen Befragung. Darin schildert er, wie bei der morgendlichen Methadon-Vergabe ein anderer Sanitätsbeamter seine Hand betrachtete – ohne sich weiter darum zu kümmern. Erst als er um neun Uhr von einem Arzt untersucht wurde, habe dieser ihn sofort in die Klinik fahren lassen, wo er unter Vollnarkose operiert wurde.
Zwischen dem Vorfall und der Strafanzeige sei ein halbes Jahr vergangen, in dieser Zeit habe er so viele Nachtdienste geschoben, dass er sich an ein einzelnes Ereignis nicht mehr erinnern könne, las G.s Anwalt gestern aus einem Brief an die Staatsanwaltschaft vor, der mit der Bitte endete, das Verfahren einzustellen. Dies auch, um ihn und seine Kollegen vor den Insassen der JVA zu schützen, die den Vorfall dazu nutzen könnten, die Beamten „zu drangsalieren“ und „zu erpressen“. Auf Nachfrage des Richters räumte G. ein, dass es dafür keine Anzeichen gebe. Ein Fehlverhalten ausschließen wolle er im übrigen nicht, ließ er über den Anwalt noch mitteilen. In Zukunft wolle er lieber einmal zu viel als zu wenig nach dem Rechten sehen.
Allerdings nicht mehr im Sanitätsdienst. Nach 25 Jahren im geschlossenen Vollzug wechselte G. im vergangenen Sommer „aus gesundheitlichen Gründen“ in den offenen Vollzug, wo er nicht als Sanitätsbeamter eingesetzt ist. Die JVA-Leitung habe nach dem Vorfall Strafanzeige gestellt, sagte gestern die Sprecherin des Justizsenators Verena Korrell. „Das war ein Fehlverhalten.“ Bei einer Krankmeldung müssten sich die Sanitätsbeamten einen Eindruck vom Patienten verschaffen. Das wegen des Strafverfahrens unterbrochene Disziplinarverfahren gegen G. würde jetzt wieder aufgenommen.
Damit hat jetzt von 14 Sanitätsbeamten nur noch einer wie G. keine medizinische Ausbildung. Bis Ende der 80er Jahre seien JVA-Beamte „medizinisch nachgeschult“ worden, so Korrell. Mittlerweile würden nur noch Mitarbeiter eingestellt, die mindestens eine Ausbildung zum Rettungsassistenten oder zur Arzthelferin hätten.
Kritik an der medizinischen Versorgung in der JVA übte gestern dennoch Elke Bahl vom Verein Bremische Straffälligenbetreuung. „Wir fordern freie Arztwahl und die Aufnahme der Gefangenen in die gesetzlichen Krankenkassen“, sagte sie. Auch Straffällige müssten zu einem Facharzt ihres Vertrauens gehen können.
Theodor E. in seiner abgeschlossenen Zelle hätte dies nicht geholfen. Die bleibenden Schäden in seiner Hand seien aber nicht G.s Verhalten zuzuschreiben, sondern der vorangegangenen Verletzung, so der Richter. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von 1.500 Euro eingestellt. Eine Idee, an welche gemeinnützige Einrichtung das Geld gehen könne, hatte er nicht. „Für missbrauchte Kinder“, schlug seine Frau vor.