: berliner szenen Verdecktes Agieren
Schlaue Musikindustrie
Die Methoden der Musikindustrie werden immer raffinierter. Kürzlich lehrte die Plattenfirma Universal ein neues Kapitel aus Lektion 5: Verdecktes Agieren – und lud zum Küchenkonzert in eine Neuköllner Privatwohnung. „Bei Sigi Schuller, Sigi kocht übrigens Spaghetti“, hieß es. Die Tür öffnet Sigi selbst, der, wie sich später herausstellt, als A & R bei Universal arbeitet und eine wachsende Zahl junger, deutsch singender Künstler betreut.
Neu im Programm ist eine 27-jährige Ex-Düsseldorferin namens Barbara Cuesta, ein hübsches Mädchen mit schwarzen Spirallocken und Akustikgitarre, das heute ihr demnächst erscheinendes Album vorstellen soll. Vorher gibt es aber noch die versprochene Pasta, Penne mit gefencheltem Orangen-Tomaten-Kapernpesto – Sigi und seine Freundin stehen selbst am Herd. Dieser Musikkonzern ist superschlau: Als das Konzert beginnt, hängen die angereisten Journalisten längst in ihren Sesseln, korrumpiert von Herzlichkeit, Alkohol und gutem Essen. Was soll auch immer die blöde Objektivität – man ist schließlich unter Freunden und hat einen Foxterrier auf dem Schoß, der gestreichelt werden will. Unter diesen Umständen finde ich Barbara Cuesta dann tatsächlich ganz überzeugend: Sie kann Gitarre spielen, singen und performen, so selbstbewusst wie ein alter Bühnenhase. Das macht wahrscheinlich die Straßenmusik-Erfahrung, mit der sich die Künstlerin das Abitur finanziert haben soll. Niedlich, wie sie da ihre Beine verknotet und von Nietzsche und dem Teufel singt. Irgendwann wachen meine Ohren und ich wieder auf aus dem Verdauungsdämmer. Wir hören Zeilen wie diese: „Wozu brauch ich Lebertran / Wenn ich Sperma schlucken kann / Du bist meine Medizin / In mir drin.“ LORRAINE HAIST