: Braune Juristerei
NRW-Gerichte forschen zur NS-Vergangenheit der Justiz
Die nationalsozialistische Vergangenheit des nordrhein-westfälischen Rechtsapparates ist noch lange nicht aufgearbeitet. Das soll sich jetzt ändern: Die Justiz in Köln, Bonn und Aachen will mit einem Forschungsprojekt ihre Geschichte vollständig aufdecken. „Dieses dunkle Kapitel ist bisher nur sehr lückenhaft aufgearbeitet. Ziel ist es deshalb, diesem Übel abzuhelfen“, sagte der Präsident des Kölner Verwaltungsgerichts Joachim Arntz anlässlich der Tagung „Justiz im Dritten Reich“ am Wochenende in Köln.
Erst Ende der 1980er Jahre haben Gerichte in NRW damit angefangen, sich für ihre braune Vergangenheit zu interessieren. 1988 wurde an der NRW-Justizakademie in Recklinghausen eine Dokumentationsstelle „Justiz und Nationalsozialismus eingerichtet. Aber es gibt noch jede Menge dunkle Flecken in der Geschichte der NRW-Justiz. Deshalb wollen die rheinländischen Gerichte zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Köln und Bonn in ihrem Projekt bisher nicht bekannte Akten aufarbeiten. Dabei sollen auch die Opfer der NS-Justiz thematisiert werden.
„Man muss zugeben, dass früher totales Schweigen herrschte“, sagt der Konstanzer Rechts-Professor Bernd Rüthers. Bis zu 90 Prozent der Professoren und Richter in den 1950er Jahren hätten bereits während der NS-Zeit diesen Beruf ausgeübt. „Keiner der Lebenden wollte mit Peinlichkeiten aus der Vergangenheit konfrontiert werden.“ Viele Juristen seien vom NS-Regime begeistert gewesen, sagt der Jurist Rüthers. „Wer damals überleben wollte, musste entweder mitmachen oder in die Emigration gehen.“
Einen Schwerpunkt der geplanten Forschungen soll die Sondergerichtsbarkeit Köln sein. Hier sind nach Angaben des Marburger Politikwissenschaftlers Wolfgang Form noch rund 19.000 Akten vorhanden. „Davon ist erst ein Bruchteil angerührt worden.“ Aufgabe der Sondergerichtsbarkeit sei es unter anderem gewesen, Äußerungen die den Staat diffamieren, zu bestrafen. „Schon Lappalien, wie etwa ein dummer Spruch über Hitler, konnten dazu führen, dass die Todesstrafe verhängt wurde“, so Form.
In vielen Bereichen der NS-Justizforschung könne noch Pionierarbeit geleistet werden, sagt der Bonner Professor für Rechtsgeschichte Mathias Schmoeckel. „Es gibt noch viele große Bestände, die zu entdecken sind.“ So sei etwa an Akten des Erbgesundheitsgerichts Bonn zu verfolgen, wie Ärzte während der NS-Zeit zu Richtern „mutiert“ seien und beispielsweise über Sterilisationen verfügt hätten.
An dem von der Kölner Rechtsanwaltskammer initiierten Vorhaben sind die Präsidenten aller Gerichte im Raum Köln-Bonn-Aachen beteiligt. Wann mit ersten konkreten Ergebnissen zu rechnen ist, können die Forscher noch nicht sagen. Finanziert wird das Projekt bisher über Spendengelder.
NATALIE WIESMANN