berliner szenen Heimweh

Schnee und Fußball

Manche halten es für ein Zeichen intellektueller Schwäche, politischer und sozialer Unzuverlässigkeit, an das zu denken, was sie umgibt. Das Wetter gilt als U-, Familie und Karriere dagegen als E-Kultur. Dieser seltsame Bonuswinter scheint mir perfekt schon ein paar Tage. Das liegt auch an der Kleidung: In dem dunkelblauen neuen Anorak, den ich bei Karstadt im Sonderangebot gekauft hatte (statt einer Herrenarmbanduhr, die’s dann doch nicht so gab, wie ich’s mir vorgestellt hatte), war dieser Schneeschauer, der am Nachmittag über Kreuzberg zwei Stunden lang herunterging, ganz wunderbar.

Augen zu, Augen auf, dreimal tief einatmen. Am Rande war der Himmel über der Oranienstraße ein Stück aufgerissen. Schnee ist viel besser als starker Regen, weil man im Schneefall geradeaus gucken kann. Die Flocken im Gesicht waren sehr gut, weil der schöne Anorak der Firma Reebok, deren Etikett ich mir früher abgemacht hätte, eine Kapuze hat, die wärmend am Kopf liegt, ohne für ihre Wärmeigenschaft gelobt werden zu wollen.

Das Nasse im Gesicht erinnerte an Kindheit. Später am Abend, in diesem völlig überfüllten irischen Pub in der Friedrichstraße, guckten wir dies sensationelle Campions-League-Spiel zwischen Chelsea und Barcelona. Dass es auf einem niederländischen Satellitensender gezeigt wurde, der Reporter also die ganze Zeit holländisch redete, merkte ich erst nach einer halben Stunde. Nachdem der fussballkompetente Engländer neben uns erklärt hatte, er unterstütze Chelsea schon seit zehn Jahren und grad für ihn hier im Exil habe das eine besondere Bedeutung, fanden wir das ganz okay. M., der, seit seiner Zeit in London, entschiedener Arsenal-Fan ist, hat’s ja auch nicht einfach so fantechnisch. DETLEF KUHLBRODT