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Archiv-Artikel

Türken trauern um Osmanen

Morgen gedenken Berliner Türken – ausgerechnet des letzten Innenministers des Osmanischen Reiches, der 1921 in Berlin erschossen wurde. Armenier warfen ihm vor, Massaker befohlen zu haben

VON CEM SEY

Konservative Berliner Türken wollen morgen mit einer Kranzniederlegung am Charlottenburger Steinplatz einer osmanischen Größe gedenken: Talat Paschas, des letzten osmanischen Innenministers. Er kam im März 1921, im Berliner Exil, durch die Schüsse eines Armeniers um. Armenier warfen ihm vor, den Befehl zur Ausrottung ihres Volkes in Anatolien gegeben zu haben. Eine umstrittene These.

Mit der Gedenkveranstaltung möchte die Türkische Gemeinde auf ein Problem aufmerksam machen, erklärt deren Vorsitzender Taciddin Yatkin: „Talat Pascha wurde ermordet, und sein Mörder für schuldig befunden. Dennoch haben ihn damals die Deutschen freigelassen, unter dem Vorwand, der Mann sei geisteskrank gewesen.“

Yatkin will darin eine Ungerechtigkeit erkennen, die heute noch aktuell sei. „Wir sind für eine Debatte über das Thema, aber zunächst müssen die Historiker forschen können. Wenn sie ihre Arbeit beendet haben, können Politiker tun, was zu tun ist.“

Eine Anspielung auf den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsgruppe, nach dem im kommendem April im Bundestag an die im Jahr 1915 massakrierten Armenier erinnert werden soll und dem sich auch die Grünen angeschlossen haben.

Nicht wenige Berliner Türken glauben, es werde versucht, ihnen in Deutschland einen Maulkorb zu verpassen. In den Teestuben und Sportvereinen Berlins jedenfalls kritisieren türkische Migranten den Umgang mit diesem Thema – und mit ihnen. Sie beschweren sich, dass ihnen Diskussionsunwilligkeit vorgeworfen wird, sich aber umgekehrt niemand für ihre Argumente – und ihre Toten – interessiere.

Die fünf größten türkischen Verbände der Stadt warnen in einer gemeinsamen Erklärung vom vergangenen Freitag: „Eine undifferenzierte Diskussion bringt nicht nur die direkt betroffenen Bevölkerungsteile gegeneinander auf, sondern schürt auch Vorurteile und Ressentiments zwischen Eingewanderten und der Mehrheitsgesellschaft.“ Nach Meinung der Verbände, darunter der Türkische Bund Berlin-Brandenburg, die Türkisch-Islamische Union und die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung, gefährdet dies sogar den sozialen Frieden der Bundesrepublik. Dabei artikulieren sie nur das, was die große Mehrheit der Türken in Deutschland denkt: „Diese tragischen Ereignisse, bei denen auf beiden Seiten hohe Verluste an Menschenleben zu beklagen sind, erfüllen keinesfalls die Kriterien eines Völkermords.“

Viele türkischstämmige Berliner fühlen sich ohnehin von der öffentlichen Kritik in die Mangel genommen: „Wir werden von einem Thema in das andere hineingeprügelt und nach Meinung der Mehrheitsgesellschaft sind wir, egal welches Thema, pauschal die Schuldigen“, beklagt sich Ahmet Iyidirli, Bundesvorsitzender der sozialdemokratischen Partei HDF. Unter diesen Umständen traue man sich oft nicht, sich zu den strittigen Themen zu äußern: „Dann muss man befürchten, zumindest verbal gelyncht zu werden.“