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Archiv-Artikel

Positiv herauskommen!

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die Grünen ratlos zu nennen wäre in diesen Tagen eine freundliche Untertreibung. Die Politiker der kleinen Regierungspartei sind in einem Zustand wie Iglo-Gemüse: schockgefrostet. Und immer noch wundern sich Grüne, wie schnell das ging, dass nichts mehr ging.

„So angeschossen in allen Bereichen waren wir lange nicht mehr“, sagt eine Krisenmanagerin der Partei frustriert. Vor kurzem noch übermütig von zweistelligen Wahlerfolgen träumend, finden die Grünen keinen Ausweg, um sich aus der Defensive zu befreien, in die sie durch die Visa-Affäre geraten sind.

Wie wenig noch geht, zeigte sich auch an diesem Wochenende. Die großen Parteien, Union und SPD, waren vor allem damit beschäftigt, die Anti-Arbeitslosigkeits-Woche samt Jobgipfel einzuläuten. Die Grünen kamen dabei kaum zu Wort. Sie mussten sich wieder mit ihrem Hauptproblem herumschlagen: Visa.

Wieder wurden Warnungen aus Botschaften veröffentlicht, in denen sich die Diplomaten über den Erlass des Auwärtigen Amts („im Zweifel für die Reisefreiheit“) beschwerten und vor den Folgen warnten: Überlastung der Botschaften und Einreise von Kriminellen.

Nun machen diese Berichte den Grünen noch die geringsten Sorgen. Inzwischen routiniert im Abwehren von Vorwürfen, wies ihr Obmann im Untersuchungsausschuss, Jerzy Montag, darauf hin, dass es weltweit rund 200 Botschaften gebe. „Es ist eine bekannte Tatsache, dass einige Botschaften im Jahr 2000 protestiert haben“, sagte Montag der taz, „und es ist bekannt, dass das Auswärtige Amt damals trotzdem an seiner Linie festgehalten hat.“

Der Neuigkeitswert der Botschaftsberichte hält sich tatsächlich wohl in Grenzen. Doch sie verstärken eben den negativen Gesamteindruck – und die Ungeduld der SPD. Immer öfter melden sich SPD-Politiker mit der Forderung an die Grünen, das Visaproblem endlich aus der Welt zu schaffen. Positiv aus der Visadebatte herauszukommen sei „eine Überlebensfrage für die Koalition“, so SPD-Fraktionsvize Gernot Erler.

Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Nach diesem Motto versuchte Parteichef Reinhard Bütikofer jetzt, wenigstens ein bisschen Boden gut zu machen. Erstmals räumte er öffentlich ein, was offensichtlich ist: den Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit durch wochenlanges Verdrängen und stückchenweises Einräumen von Fischer-Fehlern. „Was wir an Glaubwürdigkeit verloren haben, müssen wir zurückerobern“, sagte er dem Tagesspiegel. Nur wie? Sobald es konkret wird, wird es schwierig. „Außenminister Joschka Fischer sollte noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor dem Untersuchungsausschuss zur Visapraxis aussagen“, verlangte Peer Steinbrück, NRW-Ministerpräsident, gestern erneut. „Sonst könnte das Publikum doch glauben, die Angelegenheit solle über den Wahltag hinausgeschoben werden, weil da noch etwas unter der Decke ist.“

Wie nahe liegend diese These ist, zeigt die empfindliche Reaktion der Grünen. „Wir schieben überhaupt nichts unter irgendeine Decke“, so Montag. Aber es sei nun mal „mit der Union“ ein Verfahren abgemacht, wonach erst am Schluss die politische Verantwortung geklärt werde. Bei allem Verständnis für Steinbrück sei eine Aussage Fischers vor der NRW-Wahl „unwahrscheinlich“. Der Ausschuss, so Montag, könne „seine Arbeit nicht nach dem Kalender von Landtagswahlkämpfen ausrichten“.

Andere Grüne räumen ein, man habe Angst davor, dass Fischer bei einer verfrühten Aussage „in Widersprüche geraten“ und Fehler machen könnte, die alles nur noch verschlimmern würden.

Widersprüchlich ist auch die Haltung, wenn man Grüne danach fragt, was sie aus den Visafehlern gelernt haben. Einerseits wird Weltoffenheit als weiter gültiges Credo verkündet. Andererseits trauen sich die Grünen nicht einmal mehr, dem Wunsch der Ukraine nach Reiseerleichterungen nachzukommen. Der Ausweg hier lautet nun: Europa. Aus der grünen Parteiführung hieß es, Cem Özdemir habe dazu „Wegweisendes“ gesagt. Der Europaabgeordnete hatte empfohlen, „das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten“. Es mache keinen Sinn, „einen neuen eisernen Vorhang“ an der Grenze zur Ukraine zu errichten und sprach von „gezielten Visa-Erleichterungen“. Dafür wollen sich die Grünen also doch stark machen. Aber vorerst leise. Und eben nicht in Deutschland, sondern auf EU-Ebene.