: Eine unaufhaltsame Bewegung
Newcastle-Gateshead ist mit der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2008 gescheitert. Trotzdem setzt man dort auf Kultur als Motor der Stadtentwicklung. „Culture 10“ soll die alten Bergarbeiterstädte in Tourismuszentren verwandeln
„Sage Hall“, die größte Konzerthalle Englands, „Baltic Mill“, eines der größten europäischen Kunstzentren und die riesige Statue des „Angel of the North“: Das sind die sichtbaren Zeichen für den Willen der beiden alten Kohlestädte Newcastle und Gateshead, sich als Kunststädte neu zu erfinden. Mit dem Projekt „Culture 10“ der Newcastle-Gateshead-Initiative setzt man den mit der Kulturhauptstadtbewerbung eingeschlagenen Weg ehrgeizig fort.Keith Merrin (kl. Foto) ist deren Acting Creative Director und spricht im taz-Interview über den Weg zur Kunststadt. Anfang Juni bekommt er Besuch aus Bremen: Die Schwankhalle, das „steptext dance project“ und das Junge Theater Bremen fahren gemeinsam mit Künstlern, Politikern und Stadtplanern in die beiden Städte, die aus einer Niederlage einen Gewinn gemacht haben.
taz: In Newcastle-Gateshead hat man sich vom Scheitern der Kulturhauptstadtbewerbung nicht weiter beirren lassen. Was macht Sie so sicher, dass Kultur-Projekte Ihre Stadt voranbringen?
Keith Merrin: Während des Bewerbungsprozesses haben sich eine Reihe neuer Partnerschaften gebildet: zwischen lokalen Verwaltungen, Regionalverwaltung, zwischen Sport und Kultur und vielen anderen. Das hat zu einer ganz selbstständigen Bewegung geführt.
Und das genügt?
Unsere Bewerbung war in Großbritanniens Öffentlichkeit die beliebteste, die Menschen draußen waren wirklich enthusiastisch über Newcastle-Gateshead. Das ergab eine nahezu unaufhaltsame Bewegung. Als dann Liverpool Kulturhauptstadt wurde, bedeutete das für uns nur eine momentane Enttäuschung, denn wir waren schon auf unserem Weg. Und haben dann die Arbeit mit „Culture 10“ einfach fortgesetzt. Jetzt beginnen wir mit einer ganzen Folge von Projekten bis 2010.
Und wer finanziert die?
Wir haben 80 Millionen Euro zur Verfügung. Und zwar vor allem aus Lotteriegeldern, aus regionalen und örtlichen Mitteln, vom Arts Council und schließlich aus privaten Spenden. Für das Kulturhauptstadtbudget waren ursprünglich 648 Millionen Euro vorgesehen.
Das ist für strukturschwache Städte wie Gateshead und Newcastle viel Geld.
Wir haben Kultur als Mittel gesehen, um den Tourismus zu stärken. Von dem Projekt „culture 10“ erwarten wir uns 24.000 Jobs und Einnahmen von rund 2,1 Milliarden Euro. Damit sind die 80 Millionen Euro vernünftig investiert.
Skeptiker gibt es nicht?
Die gab es eher, als es ganz zu Beginn um die Bewerbung als Kulturhauptstadt ging. Aber jetzt sind die Leute überzeugt. Das Bild der Stadt hat sich innerhalb Großbritanniens erstaunlich verändert – weg von einer Schwerindustrie-Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit hin zu einer kreativen Wissensstadt mit Attraktionen wie dem Baltic Mill und dem Sage Mill.
Glaubt auch die Politik in Newcastle-Gateshead an eine Zukunft als Kulturstadt?
Natürlich war es an der Stadt, darüber zu entscheiden. Und die sieht in der Kultur einen entscheidenden Faktor für den Tourismus. So etwas muss in eine übergeordnete Strategie gehören, und hier hatte man die klare Vision, dass es der Stadt hilft.
Das klingt alles noch recht abstrakt. Was hat sich denn konkret für die Menschen in Newcastle und Gateshead verändert?
In den letzten drei Jahren hat sich die Anzahl der Absolventen unserer beider Universitäten, die hier bleiben, deutlich erhöht. Und selbst im nationalen Bildungsvergleich schneiden wir deutlich besser ab. Das liegt natürlich zum einen an internen Strukturveränderungen – aber auch an unserem neu gefundenen Selbstvertrauen.
Können Sie damit auch die Bremer trösten?
Für uns war die Bewerbung letztendlich wichtiger als es die Nominierung gewesen wäre. Natürlich wäre ein Sieg großartig gewesen, aber die Leute haben gesehen, dass wir dennoch von den kulturellen Projekten profitieren. Kommen Sie und sehen sich Newcastle als Beispiel an. Sie sind herzlich willkommen!
Interview: Friederike Gräff