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Archiv-Artikel

Provokateur auf vielen Spielfeldern

Nach dem Rücktritt des schwedischen Schiedsrichters Anders Frisk, den viele Chelseas Manager José Mourinho anlasten, schlägt die Stimmung gegenüber dem vollmundigen und konfliktfreudigen Portugiesen um

LONDON taz ■ Am Dienstag war alles so wie immer, zumindest auf dem Platz. Chelsea gewann zu Hause gegen West Bromwich Albion locker-leicht mit 1:0 – Robert Huth spielte erstmals in der Saison 90 Minuten durch – und kann bei einem Vorsprung von elf Punkten bald den blauen Doppeldeckerbus für die Meisterschaftsfeier chartern. José Mourinho, sonst nie um ein Wort verlegen, verschwand danach jedoch grußlos in die laue Frühlingsnacht. Für ihn trat Assistenztrainer Steve Clarke vor die Mikrofone und sprach knorrige Plattitüden in die selbigen.

Vielleicht war Mourinhos ungewohnter Kommunikationsverzicht so etwas wie ein leises Eingeständnis, dass er in letzter Zeit doch etwas zu viel und vor allem sehr unbedacht geredet hat. Noch am Montag hatte er dem europäischen Schiedsrichterobmann Volker Roth mit einer Klage gedroht, weil der ihn nach dem Rücktritt von Schiedsrichter Anders Frisk einen „Feind des Fußballs“ genannt hatte. „Entweder er entschuldigt sich oder wir sehen uns vor Gericht“, hatte Mourinho gepoltert. Passieren wird wenig. Selbst das relativ klägerfreundliche Verleumdungsrecht in England verspricht Mourinho nicht die geringsten Erfolgsaussichten.

Chelsea hat sich bis jetzt konsequent hinter den Erfolgstrainer gestellt. Hinter den Kulissen aber ist man besorgt, dass das Ansehen des Klubs leidet. Geschäftsführer Peter Kenyon verhandelt gerade mit dem Bund der größten europäischen Vereine, der G 14, über eine Aufnahme und kann negative Publicity schlecht gebrauchen. Am Rande der morgigen Viertelfinal-Auslosung für die Champions League in Nyon wird Kenyon versuchen, die Uefa zu beschwichtigen, und Besserung geloben. Verbandssprecher William Gaillard hat nach Mourinhos schamlosen Andeutungen über eine angebliche Absprache zwischen Frisk und Barcelona-Trainer Frank Rijkaard im Nou Camp vor drei Wochen und der öffentlichen Forderung des Portugiesen nach Pierluigi Collina für das Rückspiel bereits eine eigene Akte angelegt, in die auch der Streit mit Roth aufgenommen wird.

Chelseas Titelambitionen in Liga und Europa haben die verbalen Ausfälle des von sich sehr eingenommenen Trainers bisher keinen Abbruch getan. In den ersten Monaten seiner Amtszeit lauschten die Journalisten mit großen Augen den vollmundigen Ankündigungen des Neuankömmlings, der mit scharfem Blick die Eigentümlichkeiten des englischen Fußballs analysierte. Mourinhos Auseinandersetzungen mit United-Trainer Alex Ferguson und kleinere Beschwerden über einen angeblich Chelsea benachteiligenden Terminplan sowie die überharte Spielweise von Gegnern wurden als Versuch gesehen, den Druck von der Mannschaft wegzuhalten und sich selber zur Zielscheibe von Häme und Eifersüchteleien zu machen. „Mourinho betreibt das aufwändigste Ablenkungsmanöver seit der alliierten Landung in der Normandie“, schrieb der Guardian nicht ohne Bewunderung.

Gerade weil man dem smarten Mann mit dem Stoppelbart weiter machiavellistisches Kalkül unterstellt und nicht davon ausgeht, dass er seine zunehmend paranoiden Anschuldigungen selber glaubt, hat sich nach dem Rücktritt von Frisk nun jedoch die Stimmung gedreht. „Mourinho scheint nur eine Sache zu respektieren: das Geld von Abramowitsch“, schimpfte der Guardian gestern.

Vielleicht bringt ja Ostern dem sich derzeit auf 1.001 Nebenschauplätzen aufreibenden Portugiesen Läuterung und die seelische Contenance zurück. Mourinho wird auf Einladung des Schimon-Peres-Instituts für Frieden in diplomatischer Mission nach Israel fahren und dort arabisch-jüdische Jugendmannschaften trainieren: „Dieser Herausforderung konnte ich mich nicht entziehen. Es wird mein bescheidener Beitrag sein, Verständnis und Freundschaft zwischen zwei Völkern zu bestärken, die sich beide wie auch ich eine friedliche Zukunft wünschen.“ In diesem Sinne: Amen.

RAPHAEL HONIGSTEIN