: Der Treibstoff Ostalgie
Warum sind Menschen der Maschine unterlegen? Ihr Vorstellungsvermögen ist zu beschränkt. Das gilt manchmal auch für Theaterstücke nach Stanislaw Lem, von denen das HAU eine Reihe zeigt
von STEFAN DAVID KAUFER
Ehrlich sind sie wenigstens. Ihren Protagonisten Goto vergleicht die Künstlergruppe Prospect Park in der Stanislaw-Lem-Reihe des HAU mit einer „Kirmes-Attraktion oder dem Wirklichwerden von Science-Fiction“. Aber welche Kirmes würde schon drei von einem iBook gesteuerte Scheinwerfer als Attraktion annehmen, dazu eine Nebelmaschine und einen lauten Sound aus Boxen, der sich anhört wie „Star Wars“ rückwärts?
Als das Stück „Every Computer Is Red“ vorbei ist, stehen ein paar noch ratlos um Goto herum. Musste das am Ende wirklich sein – eine Viertelstunde Beballerung durch Trasheffekte?
Dabei fing die Bühnenadaption von Stanislaw Lems Roman „Also sprach GOLEM“ noch ganz vielversprechend an. Goto, der Lem’sche Golem im Berlin von 2005, war noch ruhig gestellt. Die von 50 Zuschauern umgebene Bühne war noch hell und von einem Menschen dominiert, der für Goto sprach. „Wenn es mir um einen scherzhaften Ausdruck zu tun wäre, so würde ich sagen, dass ich väterlicherseits von der Turingmaschine und mütterlicherseits von der Bibliothek abstamme.“ Der Schauspieler, der Goto seine Stimme leiht, bleibt der einzige aus Fleisch und Blut auf der Bühne. Die Wissenschaftler, mit denen er sich unterhält, erscheinen auf einer Leinwand.
Prospect Park haben das Thema von Lems Roman von 1984 intelligent für die Bühne aufbereitet. Im Original verlangt ein vom Menschen geschaffenes Superhirn, das wiederum selber ein unorganisches Wesen geschaffen hat, den Menschen durch diese neu gebaute, weniger anfällige, überlegenere Maschine – den Science-Fiction-Golem – zu ersetzen. Wie in allen literarischen Texten von Lem werden Themen aus Philosophie, Kybernetik und Ethik bloß mit einem Rahmen aus SF umgeben, im Grunde geht es um nichts anderes als die ersten und letzten Fragen der Menschheit.
Auf einer Bühne von 2005 führt Golem, oder Goto, ein Gespräch mit klugen Wissenschaftlern und versucht ihnen zu erklären, warum Menschen der Maschine unterlegen sind. Ihr Vorstellungsvermögen ist so beschränkt. Ihr Körper macht sie im Geiste unfrei. Ihr Denken ist ängstlich und daher inkonsequent. „Der Mensch ist beliebig manipulierbar, simulierbar und generierbar“, folgert die Maschine. Daher will sie ihre Gedanken nun nicht mehr für ihn passend machen, sondern endlich zu sich selber passen. Und dann flippt sie aus – effektmäßig leider ungenügend. Aber bei „2001 – A Space Odyssey“ sah das Unvorstellbare ja auch aus wie ein ziemlich gewöhnlicher LSD-Trip.
Außergewöhnlich ist hingegen, jetzt Stanislaw Lem wieder aus der Versenkung zu holen. Während der Künstler als alter Herr in Krakau sitzt und seit Jahren nichts mehr veröffentlicht, erwacht plötzlich Interesse an seinen Texten. Wieso bloß? Schließlich gehört die ganze Weltall- und Maschinenfaszination der 60er, kombiniert mit Ängsten vor der totalen Zerstörung unseres Planeten, gespeist durch den Kalten Krieg, längst zum alten Eisen.
Auch in Polen hat man sich darüber gewundert, erzählt Carena Schlewitt, Kuratorin der Lem-Reihe am HAU. Dann erwähnt sie aber eine Solaris-Aufführung in Düsseldorf, Lem in Nürnberg und einen futurologischen Kongress in Dresden. Die drei Theaterprojekte „Solaris“, „Lunaris“ und eben „Goto“, die nun am HAU laufen, wurden zunächst unabhängig voneinander entwickelt und an sie herangetragen. Lem geistert durchs ganze Land – deshalb hat sie eine Reihe daraus gemacht, flankiert durch ein Kybernetik-Kolloquium. „Es gibt eine Lem-Stimmung, die wieder in der Luft liegt. Man fühlt sich herausgefordert, mit seinen Texten sinnlich umzugehen.“
Während Leute, die sich Lems Bücher in den 90ern noch zu Spottpreisen in Antiquariaten kauften, sein Vermögen zur dichten Durchmischung von individuellen Problemgeschichten und philosophischen Grundsatzfragen schätzten, das absolut zeitlos ist, hatte man zumindest bei der Golem-Produktion aber ganz endliche Gefühle. Kosmonauten, metallische Raumschiffe, funktionale Raumstationen im Plattenbaustil – das fliegt hauptsächlich mit dem Treibstoff Ostalgie.
Die Stanislaw-Lem-Reihe läuft noch bis 24. März im HAU 3 mit der Produktion „Lunaris“, täglich 20 Uhr