Qualitätsfernsehen total

In Marl wurde am Freitag zum 41. Mal der Grimme Preis verliehen. Unsere Autorin kennt sich dort aus: In diesem Jahr saß sie nicht wie sonst in der Nominierungskommission, sondern im Publikum

VON JENNI ZYLKA

Hier ein Original-Preisträger-Witz: „Ich bin großer Grimme-Fan. Hab alle seine Märchen gelesen …“. Was erwartet man, wenn man Stefan Raab einen Grimme Preis verleiht? Genau das kriegt man auch. Schlagfertige Fernseh-Bonmots vom zähnebleckenden Schlachtersohn. Außerdem stichelte Moderatorin Bettina Böttinger sich durch den Freitagabend im Marler Theater, dass es oft eine Freude war, oft wollte man ihr aber auch den Mund verkleben, damit mal irgendjemand anders redete. (Rita Süßmuth auf Böttingers suggestive Frage nach einer Preisverleihungsbegründung weise: „Sie haben ja schon alles gesagt.“)

Zum 41. Mal fuhren am Freitag schwarze Limos durch die Stadt, in der während des Restjahres die gesellschaftlichen Höhepunkte durch Besuche im Marler Stern (Karstadt, Apollo Optik, Deichmann) illustriert werden. Die Stadt, in der man eigentlich fast nur Junkie, arbeitslos oder InstitutsmitarbeiterIn werden kann. Die Stadt, in der der Deutsche Volkshochschulverband seit 1964 den Grimme Preis stiftet. Als Belohnung für „Qualitätsfernsehen“ (Böttinger ungefähr 17-mal am Freitag).

Dabei gucken seit Jahren nur noch alle „GZSZ“, „Tagesschau“ und Fußball. Und „Tatort“. Doch wen schert’s? Es gibt ja den Grimme Preis, unhandlich, hübsch retrodesignt und in gewissen Kreisen extrem angesehen. Natürlich gibt es noch andere beeindruckende Staubfänger: den deutschen Fernsehpreis, der von ARD/ZDF/RTL und Sat.1 gestiftet und von einer Jury unter anderem aus MedienjournalistInnen, SchauspielerInnen und RegisseurInnen verliehen wird. Den Bambi, für den sich die RedakteurInnen des Burda-Verlags die Köpfe zerbrechen. Der Unterschied zum Grimme Preis ist: Bei den anderen steckt die Medienindustrie dahinter, die schon aus gesundem Geschäftsegoismus ein Interesse an der Belohnung und der damit verbundenen Prominenzsteigerung eines Medienprodukts haben muss. Den Volkshochschulen kann es jedoch piepegal sein, ob die Menschen nun mehr oder weniger vor der Glotze hängen. Das macht den Grimme Preis unabhängiger, als es ein mit der Medienindustrie verbandelter Hauptgewinn sein kann.

Das macht das Grimme Institut jedoch auch finanziell wackeliger. So wackelig, wie die Wände des dunkelroten 50er-Jahre-Hauses am Eduard-Weitsch-Weg in Marl, an die man sich in den letzten Jahren nicht mehr lehnen durfte, weil sie sonst wie ein Kartenhaus zusammengefallen wären. Im Januar verabschiedete sich traurig auch noch der Geschäftsführer Bernd Gäbler vom Institut, mitten in der Sitzungszeit der Kommissionen. Doch jetzt, knapp zwei Monate später, brennt plötzlich wieder die Luft aufs Hoffnungsvollste: Es gibt mit dem ehemaligen „epd Medien“-Leiter Uwe Kammann einen neuen Geschäftsführer, neue, medienunabhängige Geldgeber sind aufgerissen worden, und Ulrich Spies, der so ehrwürdige wie unprätentiöse Referent der Preise, lud kurz vor Beginn der Verleihung am Freitag alle freundlich ins frisch renovierte Institut zur Aftershow-Party ein. Dann kam Böttinger mit ihren Spitzen, vergab unter anderem Preise für „Wolfsburg“, für die Komödie „kiss and run“, für Stefan-sucht-den-Superstar-und-findet-nur-Max-Mutzke, für die Reportage „Die Rapoports“, für „Hart aber fair“, für einen „Tatort“, für Gerd Scobel, für Klaus Doldingers Lebenswerk und für „Hitlers Hitparade“, eine Collage aus leider teilweise nicht zureichend ausgewiesenem Bildmaterial aus dem Dritten Reich und Musik dieser Zeit.

So weit, so Grimme-typisch: Von 16 Preisen ging einer an einen Privatsender – Stefan Raab ist immer noch bei Pro 7. Man blieb sich also treu in Marl, schwamm bis auf wenige kleine Ausreißer in einem Becken mit dem Rest des Kritikerclubs und traf sich, wie besprochen, nach der Show im neuen, hellen, gläsernen, glänzenden „Bert Donnepp-Haus“ (= der „Erfinder“ des Preises), in dem man hervorragend trinken und essen und sich fröhlich anschreien konnte, nur das Halbdunkel und die Musik einer zünftigen Party fehlten. Was wiederum aber auch zu Marl, zum Preis, zum Anspruch passt: Statt angesäuselte Filmstars in schummerigen Ecken knutschen zu sehen, diskutiert man hier auch nach drei Uhr noch lieber über Qualitätsfernsehen. Da sind die Filmstars längst im rustikalen Hotel verschwunden, auch die angesäuselten, den beschwerlichen Weg über Dortmund, Köln und Bottrop-Boy nach Marl nimmt aus dieser Szene ohnehin eigentlich nur auf sich, wer auch einen Preis mit in den Holzverschlag nehmen darf. Oder wie es der ehemalige Geschäftsführer einmal ausdrückte, nachdem die „Academy of Motion Picture Arts and Science“ in Hollywood sich per Rechtsanwalt um das Verbot der Verwendung des Wortes „Fernseh-Oscar“ für den Grimme Preis bemüht hatte, um eventuelle Verwechslungen auszuschließen: „Für beide Preise ist genug Platz in der Welt, für den Oscar in Hollywood und für den Adolf Grimme Preis in Marl …“

Also. Das Grimme Institut lebt, ist nicht in sich zusammengefallen, hat sich am eigenen Zopf aus dem Medienschlamassel gezogen. Ach, wenn das doch nur der Anfang vom Ende dieser leidigen Krise wäre.