Schnöde grüne Welt

Abschied von Rot-Grün? Warum nicht? Keiner protestiert. Selbst das alternative Milieu glaubt nicht mehr an dieses „Projekt“. Stattdessen macht sich überall eine müde „Leck mich“-Stimmung breit

VON JAN FEDDERSEN

Ende des Jahres waren sie noch so etwas wie eherne Leuchttürme in rauer See. Aller wirtschaftlichen Krise zum Trotz wirkten Heide Simonis und Joschka Fischer, auch Kanzler Gerhard Schröder und SPD-Parteivorsitzender Franz Müntefering unerschütterlichen Mutes.

Nun hat sich die Stimmung gewandelt – zunächst dokumentiert durch eineN AbgeordneteN im Kieler Landtag, der oder die ihre oder seine Stimme Heide Simonis nicht geben wollte. Es zeichnet sich eine große Koalition ab – und niemand zwischen dem Hamburger Stadtrand und der dänischen Grenze scheint das ernsthaft zu verdrießen. Die Rhetorik vom „Projekt“ (taz-typische Vokabel für die Koalition 1998), dem rot-grünen, das die Republik verändern werde, wirkt nun erst recht verbraucht, ja beinah unangemessen. Das gilt zumal für Nordrhein-Westfalen – so nobel das Regierungspersonal Steinbrück, Vesper, Höhn & Co. auch sein mag – bei den Landtagswahlen am 22. Mai kann kaum mehr als eine Niederlage erwartet werden.

Nun, Peter Harry Carstensen oder Jürgen Rüttgers, Angela Merkel oder Christian Wulff und Edmund Stoiber sind auch nicht gerade die Stimmungsfeger der konservativen Opposition: auch sie keine Personen, von denen man so etwas wie das Andere, das Bessere erwartet – das zeigen alle Umfragen, zuletzt die der Allensbacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber sie sind es nicht, die die quälende Stagnation verkörpern – sie sind, ob mit guten oder schlechten Gründen, ihre Kritiker.

Was auch immer Rot-Grün an Gutem, Vernünftigem, Reformbedürftigem preist – es wirkt wie eine Ausrede für die Ökonomie, die sie nicht günstig zu beeinflussen vermag. Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen sind wie ein Menetekel, das da lautet: Alles Scheiße, alles läuft aus dem Ruder, alles vergebens. Gerade die Debatten um das Antidiskriminierungsgesetz müssen wie ein obskur-abseitiger Diskurs wirken: Haben die nicht andere Sorgen? Und: Ist nicht doch was dran an der Laxheit in Sachen Visavergabe in Kiew? Rot-Grün als Promoter von Schleuserbanden – ob zutreffend oder nicht: ein Imageschaden sondergleichen.

Es fehlt deshalb selbst in den Wählerschaften von Rot und von Grün die Geduld, manches zu verzeihen, was eigentlich unverzeihbar ist – und es wächst der Unmut, dass es die eigenen Leute nicht können. Die Themen, die sie anschlagen, wirken plötzlich gestrig – am plakativsten für diesen Eindruck steht das Antidiskriminierungsgesetz: Man interessiert sich, höre man sich nur mal in den Szenen inoffiziell um, nicht mehr allzu aufwallungsbereit für Opfertypologien und ihre legislative Würdigung.

Von vielen Themen scheinen auch die grünen Wähler die Schnauze voll zu haben, und das macht den Unterschied zu 1998, als alles möglich schien – eine Hegemonie gar, eine Republik, die nur auf Rot-Grün gewartet hat. Und heute? Statt Gender Mainstreaming widmet man sich eher der Liebe; über Homoehe und Sex wird nicht mehr so gern debattiert wie über Kinder und Familie; statt über Rassismus und Multikulti spricht man über einen falsch verstandenen Gleichmut religiösen Fundamentalismen gerade Migranten gegenüber; statt über Jobsharing eher über Vollbeschäftigung. Die gefühlte Stimmung, gerade unter Grünen-Wähler, ist eine erschöpfte: Man stimmt jetzt unumwunden der Idee zu, die da „Resozialisierung der Unterschichten“ (Zeit) heißt, auch dass Kinder Verbindlichkeit brauchen – gerade solche aus so genannten bildungsfernen Schichten. Man bleibt zwar weiter grün und alternativ, aber die Naivität, mit der man von der „anderen Republik“ träumte, ist verflogen.

Diese Atmosphäre transportiert sich nicht über die Medien, sondern über das reale Leben. Über LehrerInnen an Schulen, über SozialpädagogInnen, über Mütter und Väter, die nicht etwa die Nerven verlieren, sondern keine Lust mehr zu haben scheinen, Ordnung für eine Vokabel aus dem Reich konservativer Spießer zu halten. Dass sie allesamt vielleicht nur deshalb ihre Mentalität geändert haben, weil ihre eigenen Job- und Lebenssituationen prekär sind? Gut möglich. Aber erstens ist es nicht von Belang, zweitens nur allzu verständlich: Wer würde, bedroht vom Verlust von beruflichen Chancen, nicht auf eine berechenbare, irgendwie deshalb ja auch konservative Politik setzen?

Die rot-grüne Politik ist jedenfalls, so darf das Murmeln in der alternativen Szene genommen werden, kein Projekt mehr, sondern ein Gegenstand, der mehr und mehr desinteressiert. Merkel? Soll sie doch. Stoiber? Kann man überleben. Wulff? Den sowieso. Hauptsache, es bewegt einen irgendwas aus der schlechten Laune heraus – was sie anbetrifft, sind sich alle Szenen und Lager einig: Sie geht einem auf die Nerven.