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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN Küsschen, Herzchen, Politik

Natürlich ist es wichtig, ob Regierende sich leiden können. Aber müssen sie immer so übertreiben?

Bei ihrer ersten Begegnung im Juni 2008 siezten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedjew. Dessen französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy hingegen duzte Medwedjew wenig später. Liegt darin eine Bedrohung deutscher Interessen? Wird es eine Achse Paris–Moskau geben, die nicht über Berlin führt? Angela Merkel soll bloß aufpassen. Wenigstens ein Küsschen muss sie am Donnerstag ihrem Gast aus Moskau schon geben, wenn in München der Petersberger Dialog zu Ende geht. Das ist das Mindeste, was sie für Deutschland tun kann.

Barack Obama hat ihr doch gerade gezeigt, wie man so was macht. „Ich mag sie sehr gern“, sagte der US-Präsident über die Bundeskanzlerin nach ihrem Besuch im Weißen Haus und beantwortete damit zugleich die ungestellte Frage, wie gut er lügen kann. Als „meine Freundin“ bezeichnete er Angela Merkel, und er behauptete: „Ich vertraue ihr, wenn sie etwas sagt.“ Herzerwärmend.

Natürlich spielt es auch in der Politik eine Rolle, ob Leute einander mögen oder nicht. Politiker sind schließlich keine Roboter. Die Krise in den transatlantischen Beziehungen Ende der 70er-Jahre beruhte nicht nur auf inhaltlichen Differenzen, sondern wurde auch durch den herzlichen Abscheu genährt, den Jimmy Carter und Helmut Schmidt voreinander empfanden. Und es war nicht hilfreich, dass Helmut Kohl 1986 Michail Gorbatschow in einem Atemzug mit Goebbels nannte. Ohne eine lange, persönliche Aussprache am nächtlichen Rheinufer wäre es vielleicht Jahre später gar nicht zu dem entspannten Treffen in Strickjacke und Pullover im Kaukasus gekommen, wo über die deutsche Vereinigung gesprochen wurde.

Die Frage nach der persönlichen Chemie kann also durchaus politisch relevant sein. Aber wenn jedes nüchterne Arbeitstreffen zur Beziehungskrise oder umgekehrt jedes nette Wort zur Männerfreundschaft hochgejazzt wird, dann nennt man das nicht Politik. Sondern Kitsch. Neu ist Kitsch als Element internationaler Beziehungen allerdings nicht. Mit den innigen Anreden „Liebster Willy“ und „Liebster Nicky“ korrespondierten im Sommer 1914 zwei Cousins ausführlich. Der Rest der Welt kannte die beiden als Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. Genützt hat das herzliche Verhältnis der beiden bekanntlich nichts.

Man stelle sich vor, Angela Merkel und Barack Obama wären jetzt vor die Weltpresse getreten und hätten gesagt, man wolle das alberne Thema endlich vom Tisch haben und deshalb einräumen: Es stimme schon, besonders sympathisch finde man sich nicht. Aber man beabsichtige ja nicht, gemeinsam in eine Wohngemeinschaft zu ziehen, sondern man betreibe Interessenpolitik. Und dafür müsse man sich nicht lieb haben. Wäre das nicht ein wunderbarer Beitrag zur allseits geforderten Transparenz? Derlei wird sich nicht ereignen. Stattdessen wird geküsst, geherzt, geduzt. Streng nach Terminkalender.

■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Amelie Losier