: Ein Mann läuft nach oben
LEICHTATHLETIK Carsten Schlangen hat sich mit persönlicher Bestzeit für die WM qualifiziert. Jetzt will er ins Finale kommen
VON JOHANNES KOPP
Carsten Schlangen ist selbst sein schärfster Kritiker. So hadert der 1.500-Meter-Läufer mit seiner persönlichen Bestzeit (3:34,60), die er Mitte Juni beim Internationalen Stadionfest (Istaf) in Berlin lief. Zwar qualifizierte sich der im Prenzlauer Berg lebende Schlangen damit für die Weltmeisterschaft in Berlin ab dem 15. August. Aber Schlangen ist sich sicher, dass er noch schneller hätte sein können. Nach dem Rennen sagte er: „Achtzig Meter vor dem Ziel bin ich durch meinen langsamer werdenden Vorder- und Nebenmann eingeklemmt gewesen.“
Distanz zum Geschäft
Eine Leichtathletik-Fachzeitschrift legte noch eine Schippe drauf, indem sie Schlangens Erklärung als faule Ausrede interpretierte, warum er noch hinter dem Erfurter Stefan Eberhardt ins Ziel kam. Auch wenn es Schlangen zuletzt an nationaler Konkurrenz mangelte, ist dies eine ungewöhnlich harte Auslegung im Zusammenhang mit einer persönlichen Rekordmarke. Schlangen hat den Artikel griffbereit in seiner Wohnung liegen. Er ist ein wenig fassungslos ob dieser Respektlosigkeit. „Klar zählen in der öffentlichen Wahrnehmung nur die Medaillenkandidaten etwas, aber eine Bestzeit läuft man in meinem Alter ja auch nicht mehr so oft.“
Der 28-jährige Architekturstudent hat sich erst vor drei Jahren entschieden, das Laufen so professionell wie nur möglich zu betreiben. Sein Weg führte nicht linear von der frühkindlichen Auslese des deutschen Sportsystems zur Elite der hiesigen Leichtathletik. Womöglich ein Grund dafür, warum er seinem Umfeld mit recht kritischer Distanz begegnet. Schlangen verfolgt die Diskussionen, die rund um die Leichtathletik geführt werden, genau. Und er positioniert sich klar. Den obersten deutschen Sportfunktionär Thomas Bach bezeichnet er als „scheinheilig“, weil er die ostdeutschen Trainer vor den Olympischen Spielen in Peking eine Ehrenerklärung unterschreiben ließ, dass sie nichts mit Doping zu tun hatten. Schlangen gehört zu den wenigen, die öffentlich das derzeitige rigide Dopingkontrollsystem kritisiert haben. Er findet, dass die Sportler durch die Verpflichtung, über Monate hinweg minutiös ihre Aufenthaltsorte festzulegen, zu Gefangenen eines Kontrollsystems gemacht werden.
Auch im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im August scheut er sich nicht vor deutlichen Worten: „Die durchschnittlichen Eintrittspreise von 80 Euro sind völlig überteuert.“ Genauso verärgert ihn, dass die WM-Organisatoren so wenig für das Großereignis werben. Nach wie vor wisse man in der Stadt kaum etwas von dieser Weltmeisterschaft. Schlangen möchte das jetzt selbst in die Hand nehmen. Mithilfe seines Sponsors, der an Berliner Baustellen das Grundwasser überirdisch ableitet, will er auf den Rohren überlebensgroße Plastikfiguren von sich anbringen lassen, die auf die WM hinweisen sollen.
Seine Marketingaktion folge der Guerillataktik, sagt Schlangen. „Mein Engagement als Einzelperson weist auf eine Sache hin, die schlecht läuft, und bringt sie dadurch wieder in Schwung.“ Dieser Gedanke gefällt ihm. Aus einer vermeintlichen Position der Schwäche heraus viel zu erreichen. Eine Vorstellung, die sich auch auf seine sportliche Situation im internationalen Konkurrenzkampf beziehen lässt. Trotz seines späten Eintrittsalters in den Leistungssport hat er sich in seiner Disziplin unter die ersten fünfzig vorgekämpft. Mit Unterstützung des Akademikers Reinhard Wolff, Professor für Sportmedizin an der Humboldt-Universität, der eigentlich gar keine Leistungssportler als Trainer betreuen wollte.
Schlangen hat in den letzten drei Jahren seine Bestzeiten nicht spektakulär, aber stetig verbessert. Solange die Entwicklung weiter nach oben zeigt, wird er wissen wollen, was noch möglich ist. Obwohl er seinen Leistungszenit nach Erkenntnissen der Wissenschaft eigentlich schon überschritten hat. Das optimale Alter eines 1.500-Meter Läufers wird auf 27 Jahre taxiert, wie Schlangen selbst sagt. Aber solche Grenzsetzungen scheinen ihn eher noch mehr zu motivieren. Bei der WM im August würde er gerne in den Finallauf kommen – das wäre eine weitere Bestmarke. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 verfehlte er das Finalrennen knapp.