: Das Muster einer Affäre
Genau vor einem Jahr beherrschte in Großbritannien eine Visa-Affäre die Politik. Die Parallelensind erstaunlich: Hat sich die Union ihren Feldzug gegen Rot-Grün etwa bei den Tories abgeguckt?
VON ULRIKE WINKELMANN
Kommt Ihnen das bekannt vor? Eine linksliberale Regierung lockert die Einreisebestimmungen – besonders für Osteuropäer. Die Visa sollen zügiger ausgestellt werden. Das diplomatische Personal ist überlastet und warnt davor, dass es die Einreisefreudigen nicht mehr ausreichend überprüfen könne.
Eine konservative Opposition ergreift ihre Chance und spielt der geneigten Presse belastendes Material zu. Im Konzert denunzieren Konservative und ihre Presse jegliche liberale Einwanderungspolitik. Auch die nicht-konservativen Medien stellen fest, dass die Kommunikation der Regierung peinlich und unglaubwürdig ist: Es wird einfach nicht deutlich erklärt, wer was wann wusste. Es gibt einen Untersuchungsausschuss und halbherzige Schuldeingeständnisse. Die Schlagbäume nach Osteuropa sausen herab. Eine Staatssekretärin muss gehen.
Staatssekretärin? Eine Frau? Ja: Sie hieß Beverley Hughes, und wir reden von Großbritannien im März 2004.
Wer sich den Verlauf der „Visa-Affäre“ anschaut, die Hughes zu Fall und die Labour-Regierung unter Tony Blair schwer ins Trudeln brachte, braucht jetzt nur noch auf eines zu warten: dass Joschka Fischer sich furchtbar verknallt, dem philippinischen Kindermädchen seiner Geliebten auf dem kurzen Dienstweg ein Visum verschafft und zurücktreten muss, als alles auffliegt. Diesen Weg jedenfalls nahm Mitte Dezember 2004 Hughes’ Vorgesetzter, Innenminister David Blunkett.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass des deutschen Außenministers Kopf sicher ist, solange seine Freundin kein philippinisches Kindermädchen hat. Wie die rot-grüne Visa-Affäre für die deutsche Regierung endet, ist nach wie vor offen. Noch ist nicht ganz klar, ob die rot-grüne Einreisepolitik Kriminalität im großen Stil begünstigt hat. Regierung und Opposition lenken derweil vom Sachgehalt der Affäre ab: Alle Parteien bedienen ein Skandalisierungs- und Skandalbewältigungsmuster. Wie das funktioniert, zeigt der Vergleich sehr hübsch.
In Kurzform geht die britische Visa-Affäre so: Anfang März 2004 meldet ein Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde, dass Einwanderer aus den EU-Beitrittsländern im Osten schon vor der EU-Erweiterung unüberprüft ins Land gewunken würden. Dies wird nach eingehender Untersuchung für einen akzeptablen Verwaltungsprozess gehalten.
Dann jedoch schickt der britische Konsul in Rumänien, das (noch) kein EU-Beitrittsland ist, eine Mail an den Innenexperten der konservativen Partei, die Tories: Sowohl Rumänen als auch Bulgaren würden trotz sichtlich gefälschter oder unzureichender Papiere mit Visa ausgestattet und nach Großbritannien gelassen. Die Immigrations-Staatssekretärin Beverley Hughes behauptet zu lange, sie habe nichts gewusst. Ende März tritt sie zurück.
Für die Details einer solchen Affäre interessiert sich letztlich sowieso niemand. Deshalb konzentrieren sich der Angriff der Opposition und das Interesse der Medien schnell auf die Frage, wie lange ein Politiker leugnet, was er schon gewusst haben muss. Die Anklage lässt sich dann leicht nach dem Schema „Lüge oder Unfähigkeit“ formulieren. So erklärte der Innenexperte der Tories, David Davis: Die Regierung habe sich der „Vertuschung, des Betrugs oder der Inkompetenz“ schuldig gemacht („cover up, collusion or simple incompetence“). Der CSU-Chef Edmund Stoiber sagte im Februar über Joschka Fischer: Entweder habe er „die Unwahrheit gesagt, oder er hat wichtige Akten seines Hauses nicht gelesen“.
Die angegriffene Regierung sieht, dass sie nicht weiterkommt, wenn sie nicht die – unterstellte – Schuld gleich wieder zurück ins Feld des Gegners kippt. So erklärte Hughes früh in der Affäre: Die Verwaltungsprozeduren entsprächen dem, was die Tories zu ihrer Regierungszeit in den 1980ern eingeführt hätten. Nichts anderes taten die Rot-Grünen zu Beginn: Alle Probleme gingen auf die Regelungen zurück, die 1995 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther eingeführt worden seien.
Später geht die Regierung zur Medienschelte über: Innenminister Blunkett erklärte im BBC-Radio, der Skandal sei keiner, die rechte Presse habe lediglich „Blut gewittert“. Ebenso haben es sich Grüne und Auswärtiges Amt zum Hobby gemacht, die „Skandalisierung“ durch die Medien zu beklagen, die bloß den Außenminister beschädigen wollten.
Die Labour-Regierung wurde den Multikulti-Makel im Laufe des Jahres los, weil Blunkett von rechts wirklich nicht mehr angreifbar war. Nur für seine blinde Liebe.