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„Wir bleiben und lassen uns nicht teilen“

GRENZGEBIET Das Dorf Ghajar liegt zwischen dem Libanon und Syrien und ist eine geschlossene israelische Militärzone. Der Sprecher der Bewohner, Najeeb Khatib, berichtet über die Folgen

Najeeb Khatib

■ Der 44-jährige Najeeb Khatib, verheiratet und Vater von sieben Kindern, fungiert seit 25 Jahren als Sprecher des Dorfes Ghajab. Der Psychologe und Grundschullehrer hat vier Brüder und neun Schwestern im Dorf.

taz: Herr Khatib, zu welchem Land gehört das Dorf Ghajar?

Najeeb Khatib: Ghajar ist ein untrennbarer Teil der von Israel annektierten Golanhöhen und gehört damit zu Syrien. Im Jahr 2000 hat die UNO eine virtuelle Linie durch das Dorf gezogen, seither gehört der Norden offiziell zum Libanon.

Was hat die Teilung für Konsequenzen?

Wir leben seit neun Jahren wie in einem großen Gefängnis. Am Ortseingang ist ein israelisches Militärlager und ein großes Tor, durch das nur die Leute aus dem Dorf kommen dürfen. Keine Feuerwehr, keine Ambulanz darf passieren. Wir hatten vor kurzem einen Hausbrand und mussten mit Decken und Wassereimern selbst löschen. Die Israelis behandeln uns, als gehörten wir nicht mehr dazu. Nur die Steuern werden noch kassiert, aber wenn es um öffentliche Dienstleistungen geht, dann gehören wir zum Libanon.

Das gesamte Dorf?

Die Trennung und die israelischen Kontrollanlagen liegen an der Einfahrt zum Dorf. Wer einmal in Ghajar ist, muss zwischen Süden und Norden keine Kontrollen mehr passieren. Im Prinzip ist das gesamte Dorf aus Israel ausgelagert worden. Seit neun Jahren gilt Ghajar als geschlossene Militärzone.

Wie erklären Sie sich, dass die UNO die Grenze mitten durch das Dorf Ghajar gezogen hat?

Der damalige UN-Beauftragte Terje Larsen (UN-Sonderkoordinator für Frieden im Nahen Osten) hat, als er die „blaue Linie“ festlegte, auf das „Sykes-Picot-Abkommen“ von 1923 Bezug genommen. Damals gab es weder Libanon noch Syrien, wie kann er so weit zurückgehen? Aber 1967, zur Zeit des israelischen Sechstagekrieges, war hier Syrien. Das Land, die Häuser gehören zu Syrien, nicht zu Israel und nicht zum Libanon. Die Entscheidung, das Dorf zu teilen, ist unmenschlich. Alles in allem reden wir über etwas mehr als 2.300 Menschen.

Wird, wenn Sie das Dorf verlassen, zwischen Bewohnern aus dem Norden des Dorfes, das offiziell zum Libanon gehört, und denen aus dem Süden unterschieden?

Nein, jeder, der das Dorf verlässt, wird von den israelischen Soldaten denselben Sicherheitskontrollen unterzogen. Umgekehrt dürfen nur die Leute aus Ghajar ins Dorf. Wenn ein Kühlschrank kaputtgeht, denn müssen wir ihn aus dem Dorf schaffen, damit ihn dort der Techniker reparieren kann. Dazu muss ein Verlängerungskabel bis zum ersten Haus verlegt werden. Das sind ungefähr 250 Meter.

Wovon leben die Leute in Ghajar?

Wir arbeiten in der Umgebung, in den israelischen Kibuzim und Städten. Viele von uns sind in Fabriken in Kirjat Schmona beschäftigt. Wir können nicht in den Libanon. Das Dorf ist nach Norden durch einen Stacheldraht abgegrenzt, dem wir uns noch nicht einmal nähern dürfen. Wir haben allerdings 65 Studenten, die in Damaskus an die Universität gehen.

Beraten sich UN-Vertreter mit den Leuten aus Ghajar, bevor sie Entscheidungen über das Dorf treffen? Waren jetzt israelische Politiker hier, um Sie von einem möglichen Teilabzug in Kenntnis zu setzen?

Die Pläne für Ghajar

■ Mit der Annäherung zwischen Washington und Syrien rückt das Dorf Ghajar wieder auf die Tagesordnung. Die USA drängen Syrien dazu, die Grenze zum Libanon zu markieren, die laut UNO mitten durch Ghajar führt. Das Dorf gehörte bis zum Krieg 1967 zu den syrischen Golanhöhen. 1981 annektierte Israel das Gebiet. Die Hisbollah hat die „Befreiung“ der umstrittenen Sheba-Farmen und des nördlichen Teils von Ghajar angekündigt. Israel signalisierte jüngst Bereitschaft zum Abzug von dem letzten noch besetzten Landzipfel, inklusive Nord-Ghajar, vorausgesetzt, dass sich der Libanon zur Übernahme bereit erklärt. S.K.

Bei uns war noch nie jemand. Es sagt uns auch niemand, was geplant ist. Wir haben in (der israelischen Tageszeitung) Ha’aretz gelesen, dass hier eine blaue Linie gezogen werden soll. Dass Israel jetzt einen Abzug aus dem Norden plant, höre ich zum ersten Mal.

Gab es für Sie die Überlegung, die israelische Staatsbürgerschaft abzulehnen, als die Golanhöhen 1981 von Israel annektiert wurden?

Wir sind in Ghajar geblieben, um unser Haus und unser Land zu schützen. Die Hälfte der Leute aus Ghajar sind 1967 nach Syrien geflohen. Die andere Hälfte wollte lieber im eigenen Haus sterben, als irgendwo als Flüchtling zu leben. Wir sind hiergeblieben trotz der Besatzung und wir werden hierbleiben, egal wer kommt. Wenn die Türken hier regieren wollen oder Libyen, ganz egal. Wir bleiben hier und wir lassen uns nicht teilen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

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