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Archiv-Artikel

Todesdrohung als Teil der Ehestreitkultur

Kein Zeuge, nicht einmal die Verwandten des erschossenen Ehemannes, haben etwas Schlechtes über die Angeklagte gesagt. Doch das Landgericht wertete Ayse B.‘s Tat nun als heimtückischen Mord – und damit strenger als die Anklage

bremen taz ■ Die Frau als Mörderin aus Heimtücke – dieses umstrittene Kapitel der Rechtsprechung gegen meist jahrelang misshandelte Frauen, die ihren Peiniger im Schlaf töten, hat das Bremer Landgericht gestern um eine Episode erweitert. Nach sechswöchiger Verhandlung verhängte es gegen die 40-jährige Ayse B. die Strafe: Acht Jahre Haft für heimtückischen Mord im Affekt. Bei der Urteilsbegründung betonte der Vorsitzende Richter Klaus Schromek gegenüber der Angeklagten: „Wir haben keinen Zweifel an den Drohungen gegen Sie.“ Diese habe die Angeklagte „ein ganzes Stück weit geglaubt“. Doch seien Schüsse auf einen Schlafenden juristisch nur als Heimtücke zu werten.

Die Verteidigung sieht dies anders – und kündigte gestern Revision an. Schon im Plädoyer hatte Rechtsanwalt Gerhard Baisch in Frage gestellt, dass der getötete Ehemann nach ausgestoßenen Todesdrohungen und verübter Gewalt im juristischen Sinne wirklich arglos gewesen sei. Nur dann aber sei das Ausrasten der Angeklagten gegenüber dem – nun schlafenden – Agressor heimtückisch im Sinne des Gesetzes. Baisch hatte den Getöteten als Familientyrannen gesehen und für die Angeklagte Freispruch, hilfsweise eine Bewährungsstrafe gefordert. Die Anklage war bei ihrer Forderung nach vier Jahren Haft wegen Totschlags davon ausgegangen, dass die Angeklagte sich im Zustand von Unzurechnungsfähigkeit nicht darüber klar war, dass der Angeklagte schlief. Doch warf sie der Frau vor, sich zuvor keine Hilfe geholt zu haben, die vielleicht eine Lösung vom Familientyrannen ermöglicht hätte.

Mit realistischen Möglichkeiten der Angeklagten, sich aus der zunehmend gewalttätigen Ehe mit dem bewaffneten und scheidungsunwilligen Mann zu befreien, befasste sich das Gericht in seiner Urteilsbegründung jedoch nicht. Vielmehr hob es darauf ab, dass Todesdrohungen zur ehelichen „Streitkultur, wenn man so will“ gehört hätten. Damit setzte es die ehrliche Aussage der Angeklagten, sie hätte auch schon mal den Tod des Mannes herbei gewünscht, den Drohungen und Schlägen des körperlich überlegenen und bewaffneten 44-jährigen Ehemannes und gleich. Dass dieser die Pistole schon mindestens einmal im Wutanfall hervor geholt hatte, hatten Zeugen bestätigt.

Die spezielle Note von Hass und Erniedrigung, mit der der Ehemann seiner Frau offenbar gezielt begegnete, würdigte das Gericht nur, indem es Ayse B. Strafmilderung wegen einer Affekttat zugestand. Dass der Streit der Eheleute in der Tatnacht vergangenen September an einem Fernsehbericht über einen Mann eskaliert war, der seine 80-jährige Frau an einen Stuhl gefesselt und geschlagen hatte – weil sie ihm kein Essen gekocht hatte – sah das Gericht lapidar. „Das amüsierte ihn“, so der Richter zu Murat B.’s Parteinahme für den TV-Schläger. Eine Bedrohung erkannte die Kammer in dieser Provokation offenbar nicht – doch glaubte sie der Angeklagten, dass der Mann „ihren Tod durch seine Hände“ angekündigt habe. „Ihr Mann hatte kein Recht, sich Ihnen gegenüber so zu verhalten“, gestand Richter Schromek der Angeklagten tiefe Kränkung über die erfundenen Vorwürfe zu, eine Hure zu sein und fremd zu gehen. Diese seien Auslöser für die Tat.

Die Aussagen der Töchter, von denen eine den getöteten Vater ausdrücklich „Frauenhasser“ nannte, hinterfragte das Gericht. Der Vater habe doch die Ausbildung der Töchter finanziert. Auch der Anschuldigung der Nebenklage vom Komplott zwischen Mutter und Töchtern widersprach es. Vielmehr hätten auch deren Zeugenaussagen das Gericht überzeugt, dass der Mann seine Frau nicht so oft schwer misshandelte, wie von ihr dargelegt. „Regelrecht zusammengeschlagen wurde sie nicht“, sagte er unter verärgerten Zwischenrufen aus ihrer Familie.

Für Ayse B. ist mit dem Heimtücke-Urteil endgültig eingetroffen, was sie am ersten Verhandlungstag prophezeite: „Er hat gewonnen. Er wollte immer, dass ich ein schlechtes Mädchen bin.“ Da hilft es kaum, dass auch das Gericht ausdrücklich anerkannte: Über den schwierigen Charakter des Mannes habe man viel gehört. „Über Sie, Frau B., hat niemand etwas Schlechtes gesagt“, so Richter Schromek. Eva Rhode