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Archiv-Artikel

Trotz Zweifel gegen den Angeklagten

GERICHTSURTEIL Der Verurteilte soll zwei Mitarbeiter der BVG verletzt haben. Er selbst sieht sich als Opfer

Bernhard C. (50) kann das Urteil nicht fassen. Er steht vor dem Amtsgericht Tiergarten und beteuert seine Unschuld: „Ich bin kein Idiot, kein Gewalttäter.“ Als der Richter am Mittwochmorgen im Gerichtssaal 371 seine Entscheidung begründet, schaut der Angeklagte ihn nicht einmal an, sondern blickt starr auf seinen Anwalt. Vorsätzliche Körperverletzung lautet das Urteil. Zwei BVG-Männer beschuldigen ihn, sie mit einem Faustschlag und Kopfstoß verletzt zu haben. Zwar hat der Richter „auch Zweifel an den nicht zuverlässigen Aussagen der BVG-Mitarbeiter“, aber er glaubt ihnen mehr als dem Angeklagten.

Wer hat wen geschlagen?

Am 26. November kommen Bernhard und seine 54-jährige Begleiterin Birgit W. von einer Feier am Mehringdamm. Sie nehmen die letzte U-Bahn und steigen kurz nach ein Uhr am U-Bahnhof Berliner Straße in Wilmersdorf aus. Eigentlich wollen sie weiter, aber die Anschlussbahn ist weg. Dafür sind zwei Mitarbeiter der BVG da, die den Bahnhof abschließen möchten. Laut Richter sind auf dem Überwachungsvideo die „deutlich alkoholisierte“ Begleiterin, der „deutlich erregte“ Angeklagte sowie zwei relativ ruhige BVG-Mitarbeiter zu sehen. Was weiter passiert, zeigen die Aufnahmen nicht. Wer wen geschlagen hat, darüber machen die Beteiligten völlig unterschiedliche Angaben.

„Ich glaube der Version meines Mandanten“, sagt der Verteidiger. Danach seien die BVG-Mitarbeiter den Passanten zum Ausgang gefolgt und hätten auf der Zwischenebene das Schließgitter mit Wucht gegen die beiden geschleudert. Am Ende der Rolltreppe habe BVGler Ahmet Y. den anderthalb Kopf größeren Bernhard C. an der Rolltreppe eingeholt, am Kragen gepackt und zu sich nach unten gezogen. Der Angeklagte habe versucht, dem Schlag auszuweichen. Beide werden durch den Zusammenprall der Köpfe verletzt.

Der Beschreibung widersprechen die BVG-Mitarbeiter. Nach ihren Schilderungen sei es bereits im Gitterbereich zur Auseinandersetzung gekommen, bei der der Angeklagte mit der Faust durch die Stäbe Heinz M. geschlagen habe. Anschließend habe er am Gitter vorbei Ahmet Y. einen Kopfschlag versetzt – und sich dabei selbst an der Augenbraue verletzt.

Keine neutralen Zeugen

Am Ende steht Aussage gegen Aussage. Auch der Vorsitzende Richter stellt fest: „Es gibt zwei Lager und keine neutrale Zeugen.“ Zwar stuft er den Wert des Videos als „sicher gering“ ein, dennoch nimmt er das Gesehene als Grundlage für seine Entscheidung. So glaube er nicht, dass es auf dem Weg zum Ausgang zu einem „Stimmungswechsel“ bei den zuvor ruhig wirkenden BVG-Mitarbeitern gekommen ist.

Der Richter folgt den Forderungen der Staatsanwältin und verurteilt den Hartz-IV-Empfänger. Der 50-Jährige ist aufgefordert, 150 Tagessätze à 15 Euro sowie Schmerzensgeld von 1.300 Euro an die Zeugen zu zahlen.

Bernhard C. fühlt sich als Opfer. Er kündigt Einspruch an und wirft den BVGlern Falschaussagen vor. ANNE SIEGMUND