Mehrfach ungesättigte Ratschläge

betr.: „Dicke Kinder sollen Pyramiden basteln“, taz vom 22. 3. 05

Ich finde es unerträglich, wie sich Frau Künast ständig in unsere Ernährung einmischt. Dabei hat sie als Opfer die Kinder ausgesucht. Die lassen sich ja auch am ehesten beeinflussen. Und zudem geht sie auf die dicken Kinder los, als hätten die’s nicht schwer genug. Dicke Kinder benötigen gesellschaftliche Akzeptanz und nicht die mehrfach ungesättigten Ratschläge der Frau Ministerin.

Dass Kinder immer dicker würden, ist schlichter Unfug. Dann würden Autos immer langsamer. Eine Tendenz lässt sich nämlich nur dann seriös ableiten, wenn man unterwegs nicht die Bezugsgrößen ändert. Heute gilt ein Kind erst dann als schlank, wenn man auf seinen Rippen Klavier spielen kann. Solche Kinder hätte man vor 50 Jahren aufs Land geschickt, damit sie etwas auf die Rippen bekommen. Unsere Kinder sind in den letzten Jahrzehnten im Durchschnitt nicht dicker geworden. Einzig die Extreme nehmen zu. Es werden nicht immer mehr dick, sondern die Dicken werden immer dicker. Dadurch sind sie auffälliger, zudem sorgt der modische Schlankheitswahn für eine subjektiv veränderte Wahrnehmung.

Zucker auf dem Frühstückstisch hat durchaus einen ernährungsphysiologischen Sinn: hebt er den am frühen Morgen eher niedrig angesiedelten Serotoninspiegel und sorgt so für mehr Konzentration und Leistungsfähigkeit. Körner sind jedoch zum Frühstück wie zu jeder anderen Mahlzeit eher kontraproduktiv. Sie sind ein Angriff auf unsere körpereigenen Enzyme und behindern so die Fettverdauung.

Was Kinder brauchen, sind nicht irgendwelche Pyramiden, die sich mit jeder Ernährungsmode ändern, sondern Lust am Essen. Die einzigen verlässlichen Ratgeber für die Nahrungsaufnahme sind Appetit und Sättigung. Sie sind Ausdruck des Organismus für seine Bedürfnislage und sind durch keinen Ernährungsberater zu ersetzen, und schon gar nicht durch Frau Künast. JÜRGEN KRÜLL, Berlin

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