Die gefühlte Dunkelziffer

Arbeitstexte (III): Wird die Schwarzarbeit bekämpft, entstehen Millionen Arbeitsplätze – die These ist schön, aber falsch. Der Umfang der Schattenwirtschaft wird überschätzt

Aufgrund der Berechnungen fallen Waffen- und Drogenhandel auch unter Schattenwirtschaft

Das Bundesfinanzministerium meldet große Erfolge: Die „Schattenwirtschaft geht zurück“, wird im jüngsten Monatsbericht vom März mitgeteilt, auf 356 Milliarden Euro sei ihr Umsatz 2004 gesunken; im Vorjahr habe er noch 370 Milliarden Euro betragen. Das soll auch ein Resultat der Arbeitsmarktreformen sein – zum Beispiel hätten die Minijobs einen Teil der Schwarzarbeit legalisiert.

Und noch eine gute Nachricht verkündet das Finanzministerium für 2004: Die neue „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ konnte Schäden in Höhe von 474 Millionen Euro aufdecken, deutlich mehr als noch 2003. Dieser Fahndungserfolg ist sicher erfreulich, und die 5.200 Zollbeamten haben damit ihr Gehalt finanziert.

Trotzdem relativiert sich Finanzminister Eichels Freude schnell: Wenn man annimmt, dass jeder schwarz verdiente Euro bedeutet, dass etwa 50 Cent an Mehrwert- und Lohnsteuer sowie Sozialabgaben hinterzogen werden, dann ergibt das einen Gesamtschaden von rund 180 Milliarden Euro. Das entspricht einer Aufdeckungsquote von circa 0,3 Prozent – nicht wirklich berauschend. Auch die eingeleiteten 140.000 Bußgeld- und Strafverfahren wirken eigentlich recht bescheiden. Denn, wie gesagt, der Umfang der Schwarzarbeit soll angeblich 356 Milliarden Euro betragen. Das entspricht rechnerisch mindestens sechs Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Da müssten doch ein paar mehr Schwarzarbeiter zu finden sein?

Schwarzarbeit ist ein Skandalthema in Deutschland, das sich stets größter Aufmerksamkeit gewiss sein kann. Denn die politischen Schlüsse, die daraus gezogen werden können, sind für viele Interessengruppen attraktiv:

Die umfangreiche Schwarzarbeit scheint zu beweisen, dass die Steuern und Sozialabgaben zu hoch sind. Würde man sie senken, so die Prognose etwa der Arbeitgeber, dann würde dies auch die Schwarzarbeit reduzieren. Es gäbe mehr reguläre Beschäftigung und damit mehr Einnahmen beim Fiskus und den Sozialkassen. Welch verführerischer Traum: Die Senkung der Sozialbeiträge würde sich wie von selbst finanzieren.

Auch die Arbeitslosigkeit wäre in Deutschland gar nicht so schlimm, wie es scheint. Denn in Wahrheit, so die beliebte Vermutung, dürften viele Erwerbslose schwarz arbeiten. Da kann man ihnen auch ruhig das niedrige Arbeitslosengeld II zumuten, denn durch die illegalen Einkünfte wäre ihre soziale Lage tatsächlich weit besser.

Doch diese Einschätzungen sind unrealistisch, wie einige einfache Überlegungen am Beispiel der Bauwirtschaft zeigen. Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass die Schwarzarbeit dort etwa einen Umfang von 140 Milliarden Euro erreicht. Doch die Bruttowertschöpfung in der Bauwirtschaft lag laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2004 überhaupt nur bei 82 Milliarden Euro. Das heißt: Schwarzarbeit in Höhe von 140 Milliarden Euro würde in der Bauwirtschaft bedeuten, dass etwa 2 von 3 neu gebauten Wohnhäusern, Büro- und Fabrikgebäuden, Straßenkilometern nicht in der amtlichen Statistik auftauchen.

Unterstellt man einen Schwarzarbeiterstundenlohn von großzügigen 15 Euro und 1.800 Arbeitsstunden pro Jahr, würde dies über fünf Millionen Vollzeit-Schwarzarbeiter auf deutschen Baustellen bedeuten. Nach der amtlichen Statistik gibt es im Baugewerbe aber nur 2,3 Millionen Beschäftigte. Da müssten die amtlichen Fahnder doch mehr Schwarzarbeiter finden – schließlich wären zwei von drei Beschäftigten nach dieser Rechnung illegal unterwegs.

Merkwürdig an den deutschen Schwarzarbeitsberechnungen ist zudem, dass sie alle aus einer einzigen Quelle stammen: von Friedrich Schneider an der österreichischen Universität Linz. Seit mehr als zehn Jahren schockiert er die deutsche Öffentlichkeit mit steigenden Schwarzarbeitsdaten. Nach seinen Analysen lag das Volumen der Schattenwirtschaft 1970 in Deutschland bei etwa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und hat 2004 stolze 16 Prozent erreicht. Das entspricht jenen 356 Milliarden Euro, die der Finanzminister ausweist.

Aber was versteht Schneider eigentlich unter Schattenwirtschaft? In seinem neuesten Buch „Arbeit im Schatten“ listet er die verschiedenen Bereiche auf. So gehören bei ihm zur Schattenwirtschaft auch nicht-monetären Transaktionen wie Tauschhandel, Do-it-yourself-Arbeit oder Nachbarschaftshilfe. In den Bereich der monetären Transaktionen fallen illegale Aktivitäten wie „Handel mit gestohlenen Waren; Drogenhandel und -produktion; Prostitution; Glücksspiel, Schmuggel und Betrug“. Zudem finden sich hier „nicht deklariertes Einkommen von Selbständigen; nicht deklarierte Gehälter, Löhne und Vermögen aus Arbeit von der Produktion legaler Dienstleistungen und Waren“.

Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man aber nur den allerletzten Punkt als Schwarzarbeit. Schneider hingegen verwendet die Begriffe Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit weitgehend synonym. Kurioses Ergebnis: Dadurch fallen auch viele kriminelle Aktivitäten unter Schwarzarbeit – sofern bei ihnen Geld fließt, wie etwa beim Drogen- und Waffenhandel oder bei der Hehlerei. Dieser seltsam weite Begriff der Schwarzarbeit folgt aus Schneiders Methode: Er schätzt den Umfang der Schattenwirtschaft mit Hilfe des so genannten Bargeldansatzes.

Schwarzarbeit ist ein Skandalthema in Deutschland, das sich größten Interesses gewiss sein kann

In Schneiders Worten: „Beim Bargeldansatz geht man davon aus, dass schattenwirtschaftliche Aktivitäten bar entlohnt werden. Wenn es gelingt, diejenige Bargeldmenge, die für schattenwirtschaftliche Aktivitäten verwendet wird, zu quantifizieren, kann daraus die Wertschöpfung, die in der Schattenwirtschaft entsteht, berechnet werden.“

Schneider will also aus der Schätzung des in Deutschland zirkulierenden Schwarzgeldes den Umfang der Schattenwirtschaft und der Schwarzarbeit berechnen. Mit dieser Methode kann jedoch zwischen der eigentlichen Schwarzarbeit und rein kriminellen Aktivitäten nicht unterschieden werden. Es kommt zu einer grotesken Überzeichnung der Schwarzarbeit.

Das zeigt sich auch in empirischen Befragungen der Bevölkerung. So gaben im Jahr 2000 in Baden-Württemberg 16,3 Prozent der Interviewten an, dass sie selbst schon einmal schwarz gearbeitet hatten. Allerdings erzielten die meisten damit kein großes Einkommen. Knapp die Hälfte kam auf weniger als 50 Euro monatlich – nur 3,9 Prozent verdienten mehr als 500 Euro im Monat. Selbst wenn man statistische Ungenauigkeiten großzügig berücksichtigt, ergibt sich: Die Schattenwirtschaft betrug in Wahrheit nur etwa 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Es ist zu begrüßen, dass der Staat verstärkt gegen die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben vorgeht. Aber es ist vollkommen unrealistisch zu glauben, dass die Arbeitslosigkeit nur eine Art statistischer Irrtum ist und wie von selbst verschwinden würde, wenn man nur die Schwarzarbeit legalisieren könnte. ULRICH SEDLACZEK