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Archiv-Artikel

Exzess und No-Budget

Globalisierung mündet nicht in eine Welt friedlicher Verständigung. Das zeigen die Experimental-Filme, die beim 10. Internationalen Filmfestival femme totale in Dortmund gezeigt werden

VON KATRIN MUNDT

Von der Illusion, die Globalisierung der Märkte und Kommunikationswege münde zwangsläufig in eine Welt friedlicher Verständigung und universalen Wohlstands, haben wir lange Abschied genommen. Zu offensichtlich ist die Tatsache, dass sich im Zuge der radikalen technologischen und geopolitischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte die bestehenden Machtverhältnisse zwar verschoben, gleichzeitig jedoch auch neue Koalitionen und Feindbilder formiert haben. Wieder gibt es „Gewinner“ und „Verlierer“, und es wurden mit neuen Strategien alte Abhängigkeiten bekräftigt.

Die Filme und Videos des Experimentalfilm-Programms beim diesjährigen Festival femme totale nehmen auf diese Zusammenhänge Bezug, ohne jedoch unmittelbar, etwa in Form einer dokumentarisch-analytischen Auseinandersetzung, zu ihnen Stellung zu beziehen. Sie fragen weniger nach den umfassenden ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen dieser Veränderungen wie etwa nach neuen Formen der kriegerischen Auseinandersetzung, wachsender Armut und Migration. Vielmehr wenden sie sich der Psycho(patho)logie einer Gesellschaft zu, die nach wie vor an ungebremstem Konsum und wirtschaftlicher Expansion orientiert ist. Aus einer subjektiven Perspektive fragen sie nach Möglichkeiten radikalen oder subtilen Widerstands, Formen der Identifikation und Distanzierung gegenüber dem kommerzialisierten Mainstream und seinen Ikonen, aber auch nach dem Lustgewinn durch materielle und emotionale Verausgabung. Das Programm umfasst neun experimentelle Filme und Videos aus Europa und den USA, die formal wie inhaltlich sehr unterschiedliche Zugänge wählen. Das Spektrum reicht vom Filmessay über Zeichentrick-Animation bis hin zu Found Footage und konzeptuellen Videoarbeiten. Ihre Ästhetik bezieht sich häufig direkt auf Mainstream-Fernsehserien, Popmusik oder Werbefilme.

So ist beispielsweise ein zentrales Bildelement in Dara Birnbaums Video Technology / Transformation: Wonder Woman die geloopte Sequenz aus der TV-Serie „Wonder Woman“, die den Moment der Verwandlung von Frau zu Superheldin zeigt. Durch die andauernde Wiederholung des „magischen“ Augenblicks wird die Superfrau als mediales Konstrukt sichtbar gemacht und entmystifiziert. In The Remote Controller von People Like Us (Vicki Bennett), einer Collage alter Lehr- und Werbefilme, werden Bild- und Textebene so miteinander verschränkt, dass das Motiv der Fernsteuerung als Metapher für eine Fortschritt hörige Kontrollgesellschaft lesbar wird. Die affirmativen Botschaften der populären Vorlagen beginnen, sich zu kommentieren und werden so zu einem Instrument der künstlerischen Subversion.

Die Ambivalenz dieser ästhetischen Strategie, die Zitat und Verschiebung miteinander verbindet, findet sich auch auf inhaltlicher Ebene wieder, etwa in der Frage, inwiefern wir den Suggestionen der Werbung und den Identifikationsvorgaben der Popkultur entsprechen wollen. Diese Verbindung von Identifikation (“Wer bin ich?“) und Konsum ( „Was kaufe ich (nicht)?“) wird zur zentralen Frage in Mary Filippos Film Who Do You Think You Are?. Der bewusste Verzicht auf Zigarettenkonsum wird hier zu einem individuellen „heroischen“ Akt des Widerstands gegen die kollektive Verblendung durch Werbung. Dass dieses moralisch einwandfreie und politisch korrekte Vorhaben scheitert, hat nicht nur mit dem Eingeständnis der eigenen Schwäche zu tun (“Most People Aren‘t Heroes“), sondern auch mit der Attraktivität der medialen Illusionen selbst und einer zwiespältigen Lust am Fake.

Zwei sehr unterschiedliche Perspektiven auf die „Ränder“ der Konsumgesellschaft bieten die Filme von Jennifer Reeves und von Ann Course und Paul Clark. In ihrer kurzen Animation Black Magic kommentieren Course und Clark die zynische Logik des „Gewinnens“ und „Verlierens“ im Wettstreit um Erfolg, Anerkennung und Wohlstand. Was sich hier als eine Form spielerischen Kräftemessens ausgibt, zielt tatsächlich auf eine Verharmlosung der sozialen Kluft zwischen „Siegertypen“ und „Underdogs“. Die semantische Nähe von Begriffspaaren wie Lust und Verlust, Ausgabe und Verausgabung kommt schließlich in Peggy Ahweshs Kurzfilm The Star Eaters zum Tragen. Er zeigt zwei Frauen beim Glücksspiel, ihre zwiespältige Liebe zum Risiko und Lust am Verlieren. Gleichzeitig wird diese Ebene zur Analogie für die Art von emotionaler Verausgabung, die ihre eigene Beziehung prägt. Auf ähnliche Art und Weise verknüpft auch Maike Höhne in ihrem Essay Fin de siglo die Prostitution auf Kuba, deren Logik von schnellem Geld und (Selbst-)Ausbeutung in radikalem Gegensatz zur sozialistischen Gesellschaftsutopie steht, mit der Frage nach Formen der emotionalen und materiellen Abhängigkeit in Liebesbeziehungen.

Peggy Ahwesh und Jennifer Reeves, beide aus New York, gehören zu den erfolgreichsten Avantgarde- Filmemacherinnen. Sie diskutieren während des Festivals darüber, welche Formen künstlerischer Subversion es im Kontext einer Gesellschaft gibt, die immer noch an ungebremstem Konsum und wirtschaftlicher Expansion orientiert.