: Bush braucht Partner
In der Außenpolitik zeigen die USA immer mehr Bereitschaft zum Kompromiss. Doch das reicht nicht, um die Entfremdung zwischen Amerika und dem Rest der Welt zu beenden
George W. Bush hat dieser Tage ein schönes Beispiel dafür gegeben, warum ihm so wenige seinen Ruf nach Freiheit und Demokratie abkaufen. Er kündigte an, den Lieferstopp für Kampfjets an Pakistan aufzuheben. Der Verkauf diene der „Stabilisierung“ der Beziehungen zu den USA, verkündete Außenministerin Condoleezza Rice. Mit dem gleichen Argument könnten die Europäer die Aufhebung ihres Waffenembargos gegen China rechtfertigen. Doch das lehnt Bush ab, weil China ein autoritäres Regime sei. Das ist Pakistan auch. Dessen Alleinherrscher jedoch ist für Washington von strategischer Bedeutung. So wie es ein Regimewechsel im Irak war.
Stellen wir uns vor, Präsident Bush wäre im Herbst 2002 vor den Kongress getreten und hätte gesagt, er wolle einen Tyrannen in Bagdad stürzen, dem Volk des Irak endlich Freiheit bringen, damit eine demokratische Kettenreaktion im Nahen Osten auslösen, schließlich sei dies auch im Sicherheitsinteresse der USA – und daher bitte er um eine Kriegsermächtigung. Seine eigenen Parteifreunde hätten ihn ausgelacht. Niemand hätte einen Tropfen GI-Blut geopfert.
Ein Krieg, sofern gewollt, ließ sich nur absegnen mit der Vorstellung von ABC-Waffen in der Hand eines Irren, der dazu noch gute Verbindungen zu Ussama Bin Laden pflegt, und das alles vor dem Hintergrund einer aufgewühlten Volksseele nach dem 11. September. Vom Letzteren ist heute nicht viel geblieben. Die Kriegsmanipulationen sind vergessen. Viele Parlamentarier und Bush klingen, als ob es immer nur um edle Motive gegangen wäre. In seiner Rede zur Amtseinführung erwähnte Bush die ursprünglichen Gründe für den Waffengang nicht einmal mehr, Fehler räumte er nicht ein. Alles drehte sich nur noch um den „Marsch der Freiheit“.
Auf einmal fragt man sich hierzulande, ob Bush nicht doch ein visionärer Staatsmann ist; ob die hoffnungsvollen Entwicklungen in der arabischen Welt nicht dem Sturz Saddams zugeschrieben werden müssen. Ist Bush ein genialer Schwindler, der stets betont, dass am Ende nur das Urteil der Geschichte zählt? Der wusste, die Welt und sein Land würden ihm ohne eine bedrohliche Kulisse nicht in den Irak folgen – zur Initialzündung für eine arabische Revolution? Genau hier liegt das Problem. Die leichtfertige 180-Grad-Wende Bushs von ABC-Waffen und Terrorverbindungen zum Freiheitskampf ist so wenig glaubwürdig wie die Bedrohung durch Hussein oder das Bekenntnis, die US-Geheimdienste würden nicht mehr foltern. Bush muss damit leben, dass man ihm weiter misstraut.
Natürlich haben auch Politiker das Recht, zu lernen und ihre Meinung zu ändern. Vor allem wenn ein Ereignis wie der 11. September in ihre Amtszeit fällt. Nur weil Bush die vielleicht ironischste Metamorphose eines Präsidenten in der jüngeren Geschichte der USA erlebt hat, muss man ihm nicht misstrauen. Nur weil er im Wahlkampf 2000 isolationistisch tönte, Bill Clintons moralisch motivierte Außenpolitik auf dem Balkan und in Afrika verurteilte, sich heute hingegen als leidenschaftlicher Interventionist präsentiert, muss er kein Heuchler sein.
Für Irritationen und damit anhaltende Skepsis sorgt vielmehr die tiefe Kluft zwischen Rhetorik und Praxis. Außer seinem Freiheitsmantra ist keine kohärente Strategie erkennbar – es sei denn die nach einer globalen Pax Americana. Diktaturen und Autokraten werden, je nach Bedarf, weiterhin unterschiedlich behandelt. Die Messlatte von Demokratie und Menschenrechten wird je nach strategischem Nutzen unterschiedlich hoch gelegt. Syrien und Iran wird gedroht, auch militärisch. Der Druck auf Ägypten ist wesentlich schwächer. Russland und Saudi-Arabien werden milde kritisiert, Pakistan bekommt Waffen, und Nordkorea kann machen, was es will. Die Alleinherrscher vom Kaspischen Meer bis zum Himalaja müssen so wenig Sanktionen fürchten wie die Warlords in Afrika. All das ist Interessen- und Realpolitik alter Schule.
Schien es, dass Bush während seiner jüngsten Charmeoffensive in der alten Welt den Europäern ernsthaft entgegenkommen wollte, so rufen jüngste Entscheidungen Kopfschütteln hervor. Man fragt sich, ob der Wolf nur einen besonders verführerischen Schafspelz trug. Als die Situation im Irak völlig aus dem Ruder lief, der Folterskandal von Abu Ghraib noch im kollektiven Gedächtnis rumorte und die moralische Autorität der Amerikaner untergrub, schien Bush seinen neokonservativen Einflüsterern, denen er den Schlamassel zu verdanken hatte, weniger Gehör zu schenken.
Kaum gibt es im Irak hoffnungsvolle Zeichen, erleben die „Neocons“ ihre Wiederauferstehung. Wer – wie neuerdings Bush – bekundet, dem Terrorismus auch seinen sozialen und wirtschaftlichen Nährboden entziehen zu wollen und dann den Kriegsstrategen Paul Wolfowitz als Weltbank-Chef nominiert; wer auf eine Reform der Vereinten Nationen drängt, für deren verstärkten Einsatz im Irak wirbt und dann den ungehobelten UN-Verächter John Bolton zum Botschafter bei der Weltorganisation ernennt: der hat entweder kein Gespür, keinen Willen, offenbart seine tatsächlichen Ambitionen oder alles zusammen.
Zwar hat Bush sich bewegt. Er agiert heute weniger ideologisch als pragmatisch und multilateral. Er hat erkannt, dass auch Amerika Partner braucht, denn es ist zwar „dominant, aber nicht omnipotent“, wie es Zbigniew Brzezinski formulierte. Er hat sich deutlich für ein starkes und vereintes Europa ausgesprochen und sich damit gegen konservative Hardliner in Washington gestellt. Im Konflikt um Irans Atomprogramm ist er den verhandelnden Europäern entgegengekommen. Und in der Ukraine hat sich seine Regierung frühzeitig auf die Seite der Reformer geschlagen, die Demokratiebewegung vorbildlich unterstützt und ahnen lassen, dass die „irakische Lösung“ vielleicht doch nur eine Ausnahme war. Leider haben Bushs PR-Leute dieses Engagement nicht zur eigenen Imageverbesserung nutzen können. Wie sollten sie auch, wenn das Weiße Haus in Afghanistan Freiheit und Unabhängigkeit predigt, während das Pentagon Militärbasen am Hindukusch ankündigt?
So bleibt es bei der weltweiten Wahrnehmung der USA als Supermacht, die sich an ihre selbst verkündeten Prinzipien nicht gebunden fühlt. Das ist kontraproduktiv, da jede Hegemonialmacht qua Existenz Missgunst, Neid, Ablehnung und Widerstand hervorruft. Umso wichtiger ist es, diese instinktiven Reaktionen so gering wie möglich zu halten. Dazu muss die US-Außenpolitik glaubhaft und verlässlich sein. Nur so kann Amerika seine einzigartige Macht im Sinne globaler Kooperation nutzen. Anderenfalls wird die Entfremdung zwischen Amerika und der Welt wachsen.
Bush kann das verlorene Vertrauen durchaus zurückgewinnen – mit einem langen Atem. Er muss Geduld im Irankonflikt beweisen, Afghanistan beim Wiederaufbau unterstützen und im Irak seiner Freiheitsrhetorik entsprechende Taten folgen lassen. Noch hat Bush vier Jahre Zeit, sich einen würdigen Platz im Geschichtsbuch zu verdienen.
MICHAEL STRECK